Vegan: Welche Rollen können Konzerne spielen?

Vegan: Welche Rollen können Konzerne spielen?

Veganer stehen zu großen Lebensmittelkonzernen, wie Nestlé oder McDonald's, aus gutem Grund kritisch. Diese Konzerne sind in hohem Ausmaß in Tierausbeutung, Menschenausbeutung und Umweltzerstörung involviert. Eine neue Studie gibt aber zu Bedenken, dass eine Kooperation mit solchen Konzernen zu einem dramatischen Durchbruch veganer Lebensmittel und damit letztlich auch der veganen Lebensweise führen könnte. Was könnten die Konsequenzen sein?

Vegan lebende Menschen vertreten typischerweise auch über die vegane Ernährung hinausgehend emanzipatorische Positionen. So hat eine Umfrage von vegan.eu gezeigt, dass eine geradezu überwältigende Mehrheit der Befragten sich für progressive, politische Maßnahmen zur Überwindung von Ausbeutung, Armut, sozialer Ungleichheit und Not aussprach. Entsprechend kritisch sind vegan lebende Menschen im Regelfall auch gegenüber Konzernen eingestellt, zumal die Lebensmittel- und Bekleidungskonzerne in großem Stil von der Tierausbeutung profitieren.

Welche Rolle könnten und sollten also die großen Konzerne bei der angestrebten Ausbreitung des Veganismus spielen?

Oder anderes gefragt:

Welche Strategie sollten Veganer im Umgang mit Konzernen einschlagen, um die Verbreitung des Veganismus, aber auch die weitergehenden emanzipatorischen Ziele erreichen zu können?

Zunächst liegt es nahe, eine Strategie des Boykotts von allen Konzernen zu propagieren, die sich an der Tierausbeutung und Menschenausbeutung beteiligen. Dies würde allerdings bedeuten, dass ausnahmslos alle Konzerne zu boykottieren sind. Entsprechend sollten Veganer also für die Beschränkung des Einkaufs von Produkten auf kleinere Unternehmen plädieren, die nicht in Tier- und Menschenausbeutung involviert sind.

Die Schwierigkeit, die aus so einer Position entsteht, ist allerdings, dass es womöglich solche Unternehmen gar nicht gibt. Denn auch kleinere Unternehmen sind in die bestehenden ausbeuterischen Strukturen ökonomischen eingebunden. So könnte beispielsweise selbst ein Einkauf im Bio-Fachhandel kritisiert werden, weil dort auch nicht-vegane Produkte verkauft und Gewinne mit ihnen gemacht werden. Zudem gibt es zahlreiche Produkte des täglichen Lebens, die ohne Rückgriff auf größere Konzerne gar nicht erhältlich wären, eines von vielen Beispielen hierfür sind Computer.

So konsequent eine Strategie des generalisierten Boykotts von Ausbeutungsstrukturen auch erscheint, so stößt sie in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Struktur an Grenzen.

Eine neue Studie eröffnet aus ökonomischer, spieltheoretischer Perspektive eine andere Perspektive, wie die Ausbreitung des Veganismus womöglich mit größerem Erfolg gefördert werden könnte. Demnach wäre kein Boykott von nicht-veganen und in Ausbeutungsstrukturen verwickelten Konzernen und Unternehmen zu fordern, sondern stattdessen eine Kooperation zwischen den großen Lebensmittelkonzernen und den weitaus kleineren veganen Spezialfirmen.

Aus emanzipatorischer Perspektive mag dies eine bittere, ja nahezu unannehmbar erscheinende Pille sind. Eine Zusammenarbeit soll ausgerechnet mit den großen Lebensmittelkonzernen, wieNestlé oder McDonald', erfolgen? Eine Zusammenarbeit mit Konzernen, die tiefgreifend in die Ausbeutung von Menschen und Tieren und die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen unseres Planetens involviert sind?

Welche Argumente könnten einem solchen Vorschlag zugrunde liegen?

Die Autoren arbeiten heraus, dass die großen Lebensmittelkonzerne über eine einzigartige Marktmacht verfügen und die Verteilung von Lebensmitteln zum Verkauf weltweit steuern können. Demgegenüber verfügen kleinere vegane Spezialfirmen zwar über ein besonderes Wissen und eine gute Vernetzung mit sie unterstützenden Konsumenten, haben aber mangels Finanzen und Vertriebssystem keine Möglichkeiten, um alle Verbraucher zu erreichen.

Es ist Veganern, Tierschützern und Umweltschützern zunehmend gelungen, einen Einstellungswechsel bei der Bevölkerung zu erreichen, der veganen pflanzenbasierten Produkten positiv gegenübersteht. Eine Kooperation mit großen Lebensmittelkonzernen könnte diesem Einstellungswandel auf der Ebene des Konsumverhaltens zum Durchbruch verhelfen.

Leider verfügen Veganer über keine Möglichkeit, ohne Kooperation mit den großen Lebensmittelkonzernen eine weltweite Verfügbarkeitsmachung von veganen Produkten zu erreichen. Je einfacher verfügbare und preiswerter vegane Produkte aber sind, desto eher werden sie auch gekauft und konsumiert werden.

Umgekehrt haben die großen Lebensmittelkonzerne aus rein ökonomischen Gründen ein Interesse daran, die Wünsche der Verbraucher zu bedienen. Grundsätzlich geht es den Konzernen um ihre Gewinne und nicht um Tierausbeutung an sich. Wenn Geschäfte mit veganen Lebensmitteln profitabler wären als Geschäfte mit tierischen Lebensmitteln, würden die Konzerne umsteuern. Grundsätzlich ist es ihr Interesse, in allen Märkten tätig zu sein. Wenn aber ein Markt (z.B. der Markt der Tierprodukte) zunehmend aufgrund mangelnder Nachfrage wegbrechen würde, hätten die Konzerne kein Problem damit, stattdessen auf den Markt mit pflanzlichen Produkten zu setzen. Das Interesse der großen Lebensmittelkonzerne steht also nicht notwendigerweise für immer einem Ausstieg aus der Tierausbeutung entgegen.

Die Kooperation mit veganen Spezialfirmen kann den Konzernen helfen, den Sprung in den Markt mit veganen Produkten schnell durchzuführen. Umgekehrt kann die Kooperation mit den Konzernen den veganen Spezialfirmen helfen, ihre Produkte immer breiter und preiswerter anbieten zu können.

Die Autoren legen mathematisch fundierte Simulationen vor, gemäß derer eine Kooperation zwischen veganen Spezialfirmen und großen Lebensmittelkonzernen es den veganen Firmen ermöglichen würde, in den globalen Markt sehr viel einfacher einzusteigen und dabei gleichzeitig kostenfreie Werbung für ihre Produkte zu erhalten. Auf diese Weise könnte eine Kooperation zwischen Produzenten von veganen Burgern undMcDonald' zu einem globalen Durchbruch bei der Verbreitung veganer Burger führen, der ohne diese Kooperation nicht erreichbar wäre. Gleichzeitig würde davon freilich auchMcDonald' profitieren, indem es so einen glatten und werbewirksamen Einstieg in den Markt mit veganen Produkten umsetzen könnte. Dies könnte Motivation sein, das Unternehmen zunehmend auf vegane Produkte auszurichten. Hierzu können Veganer beitragen, indem sie die Nachteile von Tierprodukten und die Vorteile der ethischen veganen Ernährung noch bekannter machen würden.

Durch die globale Verfügbarmachung veganer Produkte würden mehr und mehr Menschen unmittelbar die Erfahrung machen, dass für das Geschmackserlebnis des Burgers die Tötung von Tieren nicht erforderlich ist. Dies wiederum könnte die Nachfrage nach veganen Produkten weiter ankurbeln.

Natürlich ist der Gedanke an eine Kooperation mit einem Ausbeutungskonzern, wie McDonald', aus veganer Perspektive alles andere als erfreulich. Andererseits legen die Autoren aber Daten vor, die mit großem Nachdruck dafür sprechen, dass durch eine derartige Kooperation ein gegebenenfalls sogar enormes Wachstum des veganen Marktes möglich wäre. Sollten die großen Konzerne dann sogar feststellen würden, dass der Verkauf von Tierprodukten aus Gewinnsucht nicht mehr notwendig ist, sondern eher ihr Image beschädigt, könnte gar ein Durchbruch erfolgen, der ein exponentielles Wachstum des veganen Marktes ermöglichen und damit den angestrebten Niedergang der Tierausbeutung einläuten würde.

Würden Veganer damit ihre allgemeineren emanzipatorischen Zielsetzungen aufgeben?

Womöglich mag dies auf den ersten Blick so scheinen, auf den zweiten Blick ergibt sich aber eine andere Möglichkeit:

Veganer würden tatsächlich zunächst durch den Beginn der Kooperation mit den ausbeutenden Konzernen andere Bedenken zurückstellen, um eine Ausbreitung des veganen Marktes zu erreichen. Je wichtiger aber der vegane Markt für die Konzerne würde, desto mehr Konsumentenmacht könnten Veganer gleichzeitig für ihre emanzipatorischen Ziele erringen.

Für das eigene Wohlbefinden mag es der einfachere Weg sein, sich einer Kooperation mit Ausbeutungskonzernen entgegenzustellen. Wenn aber eine wirksame Verbreitung der veganen Lebensweise erreicht werden soll, sollte aus Sichtweise des Verfassers trotz alledem der Vorschlag der Autoren aufgegriffen und auf Kooperation mit Konzernen gesetzt werden, wenn diese im Gegenzug vegane Produkte verfügbarer machen. Denn ohne diese Kooperation haben vegane Firmen keine Chance, weltweit ihre Produkte zu möglichst geringen Preisen verkaufen zu können. Dies aber läuft wiederum der Ausbreitung des Veganismus zuwider, der gleichzeitig in hohem Ausmaß unsere Umwelt schützt und Tier- und Menschenausbeutung entgegenwirkt.

Es ist eine bittere Medizin, aber nach Ansicht des Verfassers werden Veganer nicht an ihr vorbeikommen, wenn sie das Ziel einer veganen Gesellschaft einstmals erreichen wollen.

Übrigens geht der VEBU in Deutschland diesen kooperativen Weg, indem er mit Fleischkonzernen kooperiert, damit diese fleischfreie Produkte anbieten. Dadurch nutzt der VEBU Möglichkeiten, ein Wachstum des Marktes fleischfreier Produkte zu fördern. Allerdings sollte der VEBU die Förderung von Produkten beenden, die Eier oder Milch enthalten und ausschließlich vegane Produkte einbeziehen. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass die Kooperation der Tierausbeutung nicht entgegenwirkt, sondern sie unverändert aufrechterhält.

Die Lobby der Nutztierhaltung scheint durch die Verbreitung veganer Ersatzprodukte durchaus beunruhigt zu werden. Dies ist ein gutes Zeichen. Bauernverband, Fleischwirtschaft und der bundesdeutsche Landwirtschaftsminister Schmidt wollen es entsprechend künftig verbieten, vegane Produkte als vegane Wurst, veganes Schnitzel oder veganen Gulasch zu verkaufen. Wenn es gelingen würde, diese Produkte global genauso umfassend verfügbar zu machen wie die auf Tierausbeutung beruhenden "Originalprodukte", könnte das Interesse an den Ausbeutungsprodukten abnehmen und eine Ersetzung durch vegane Produkte weltweit erfolgen. Ohne eine Kooperation mit den weltweit führenden Lebensmittelkonzernen dürfte dies aber kaum gelingen können.

Es soll abschließend nicht verschwiegen werden, dass die Kooperation mit großen Konzernen für die kleinen veganen Anbieter auch ungünstig ausgehen könnte. Vermutlich würden die Konzerne das Geschäft schnell alleine übernehmen wollen, wenn ihnen deutlich würde, dass sich die veganen Produkte durchsetzen. Allerdings würde dies nicht notwendigerweisedas Aus oder einen Verlust für die veganen Anbieter bedeuten. Die Konzerne würden ihre Massenumsätze gerade mit solchen Konsumenten erzielen, die derzeit überhaupt nicht durch vegane Anbieter erreicht werden. Sie würden also neue Kunden gewinnen. Die Veganer aber, die bereits heute bei den kleinen Anbietern kaufen, könnten diesen treu bleiben, weil sie mit ihnen weltanschaulich verbunden sind. Gleichzeitig könnten sie so ihre Ressourcen dazu nutzen, sich auf die Abstellung weiterer Missstände bei den Konzernen zu konzentrieren.

Selbst wenn es nicht zum großen Durchbruch führen würde, so würde jede Erweiterung des veganen Angebotes die Aussichten verbessern, dass weitere Menschen für die vegane Ernährung gewonnen werden können. Das Wissen über vegane Ernährungsmöglichkeiten ist bei vielen Menschen geradezu erschütternd gering. Je öfter diese Menschen in den Supermärkten auf vegane Lebensmittel stoßen, desto eher werden auch sie zum Nachdenken gelangen.

Verfasser: Guido F. Gebauer

Hinweis: Die letzten beiden Abschnitte des Artikels wurden am 28.01.2016 hinzugefügt.

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