Akzeptanz ind einer nicht-veganen Gesellschaft
Die vegane Lebensweise wird in den allermeisten Fällen von der nicht veganen Gesellschaft akzeptiert und respektiert, solange sie als eine unter mehreren möglichen individuellen Lebensentscheidungen verstanden wird ohne Anspruch auf moralische Überlegenheit oder gesellschaftliche Verankerung. Toleranz wird entsprechend von der fleischessenden Gesellschaft und ihren Mitgliedern als wechselseitige Akzeptanz des jeweiligen tierkonsumierenden oder veganen Lebensstiles verstanden.
Veganern, die ihren Lebensstil moralisch begründen und den Konsum von Tieren daher als ein gesellschaftliches und individuelles Fehlverhalten erkennen und als solches auch benennen, wird demgegenüber nicht selten Intoleranz oder missionarischer Eifer vorgeworfen. Diese Reaktionen sind psychologisch nachvollziehbar, da sich der Tiere konsumierende Mehrheitsteil der Gesellschaft durch den Hinweis auf das mit dieser Praktik verbundene Tierleid als in Frage gestellt erlebt, woraufhin dann wiederum - nicht selten bei Ausblendung der vorgebrachten Argumente – mit dem Gegenvorwurf von Intoleranz reagiert wird, um den eigenen Lebensstil und dessen erlebte Vorteile (Einfachheit, Geschmack etc.) ohne tiefer gehende Auseinandersetzung mit seinen ethischen Implikationen aufrechterhalten zu können.
Die oben skizzierte Gegenüberstellung einer veganen Position und Lebensweise mit der Lebensweise und Position einer gegenüber dem Leid von Tieren insensitiven Gesellschaft ist freilich eine Vereinfachung. Die überall gesellschaftlich dargestellte Tierliebe, einschließlich der auch individuell erlebten Liebe zu eigenen Haustiere, die Existenz von Tierschutzvereinen und durch diese erhaltene Spenden wie auch von Tierschutzgesetzen, macht vielmehr deutlich, dass in Wirklichkeit auch in der nicht veganen Gesellschaft ein Bewusstsein für die Leidensfähigkeit von Tieren und die moralische Problematik des Tieren durch Menschen zugefügten Leidens besteht.
Mancher Veganer mag dazu neigen, die zu Tage tretende Tierliebe der Gesellschaft als Heuchelei abzutun, weil das Ausmaß des tagtäglich gesellschaftlich produzierten und hingenommenen Tierleids als hiermit nicht vereinbar bewertet wird. Auch wenn es aus veganer Sichtweise als merkwürdig erscheinen mag, einerseits sich für Tierschutz zu engagieren, andererseits aber Tiere zu essen und sich über den Geschmack von deren Körperteilen auszutauschen, sollte dieser Widerspruch zu der dennoch vorhandenen Sensitivität für die Belange von Tieren nicht einfach nur als Heuchelei abgetan, sondern als Veränderungsressource anerkannt und bestärkt werden.
Eben daraus, dass sich selbst die fleischessende Gesellschaft in Teilen der Leidensfähigkeit der Tiere und deren moralisch gebotenem Schutz bewusst ist und mindestens für einzelne Tiere Empathie entwickeln kann, ergibt sich die Aussicht, dieses Bewusstsein individuell und gesellschaftlich weiter zu verstärken und daraus eine im Verhalten umgesetzte Einsicht in die Notwendigkeit einer veganen Lebensweise zu begründen.
Vegan in einer nicht veganen Gesellschaft zu leben, bedeutet sich in einem Spannungsfeld zu bewegen und immer wieder die Grenzen der Durchsetzbarkeit der eigenen moralischen Überzeugungen durch eine diesen Überzeugungen widersprechende gesellschaftliche Praxis aufgezeigt zu bekommen. Es ist eine durchaus in nicht unerheblichem Ausmaß Anforderungen an die Emotions- und Dissonanzbewältigung stellende, aber dennoch für das eigenen Lebensglück wie auch für die angestrebte Ausbreitung der veganen Lebensweise sinnvolle und auch umsetzbare Anforderung, sich nicht von der Gesellschaft und den nicht vegan lebenden Menschen zurückzuziehen, ihnen nicht in Hostilität und Ablehnung verbunden zu sein, sondern - trotz alledem - positiv auf sie zuzugehen, sie zu überzeugen, um letztlich gemeinsam mit ihnen eine bessere, den Tieren endlich Rechte zuweisende und damit auch dem Menschen würdigere vegane Welt aufzubauen.