Vegan kein Risikofaktor für Orthorexia

Vegan kein Risikofaktor für Orthorexia

Der Begriff Orthorexia oder Orthorexie bezieht sich auf eine Essstörung, bei der Betroffene sich zwanghaft mit dem Thema der gesunden Ernährung beschäftigen. Dies führt zu massiven Einschränkungen der Lebensmittelauswahl und ist gleichzeitig oft mit Impulsdurchbrüchen (Konsum unerwünschter Lebensmittel) und Schuldgefühlen verbunden. Das Störungsbild ist noch nicht in internationalen Klassifikationen anerkannt, scheint aber tatsächlich zu existieren und bei den Betroffenen zu erheblichem Leidensdruck zu führen.

Die Relevanz der Orthorexie für Veganer ergibt sich aus den Gefahren einer Verwechslung der veganen Ernährung mit Orthorexie. Gerät die vegane Ernährung in den Verdacht, orthorektisch zu sein oder mindestens das Entstehen einer Orthorexie zu fördern, könnte sich dies negativ auf die Akzeptanz und Ausbreitung der veganen Ernährung auswirken.

Eben diese Gefahr einer (unberechtigten) Diskreditierung der veganen Ernährung als orthorektisch wurde vor Kurzem anhand des Buchtitels "Breaking Vegan" von Jordan Younger sichtbar. In dem Buch wird die Leidensgeschichte einer seelisch-kranken, jungen Frau geschildert, die weit vor ihrer "veganen Ernährung" bereits orthorektisch war. Im Verlauf praktizierte sie eine hochgradig eingeschränkte Ernährung auf der Basis von Säften, die sie als "vegan" missverstand. Mit der Überwindung der Orthorexie gab sie schließlich auch diese "vegane" Ernährung auf.

Das Vorwort zu dem Buch von Jordan Younger schrieb Dr. Steven Bratman, der den Begriff der Orthorexia einstmals prägte und in die wissenschaftliche Diskussion einführte. Zwar nimmt er in seinem Vorwort tatsächlich nicht pauschal Stellung gegen die vegane Ernährung, vertritt aber die Ansicht, dass es Menschen gebe, die dazu veranlagt seien, durch die vegane Ernährung zu orthorektischen Ernährungsweisen zu gelangen. Jedoch präsentiert er selbst für diese Hypothese keinerlei Belege. Das Fallbeispiel der jungen im Frau im Buch, dessen Vorwort er schrieb, stützt diese Annahme jedenfalls gerade nicht, da der Beginn der Orthorexie hier eindeutig vor dem Wechsel zur veganen Ernährung lag. Unabhängig von diesen Differenzierungen wird das Buch in der medialen und gesellschaftlichen Diskussion sowieso bereits aufgrund seines Titels als Abrechnung mit der veganen Ernährung verstanden, die die junge Frau zu einer orthorektischen Ernährung verleitet habe. Vegan wird so mit zwanghaft und seelisch-krank assoziiert.

Eine neue Studie zeigt, dass der Begriff der Orthorexie als zwanghafte und leidbesetzte Form einer scheinbar hypergesunden Ernährung allzu leicht mit einer tatsächlichen Achtsamkeit auf eine gesunde Ernährung verwechselt werden kann:

Ausgewertet wurden die Fragebogenangaben von 275 US-amerikansichen Studenten im Ortho-15, einem Fragebogen zur Erfassung der Orthorexie, der sich aus 15 Fragen zusammensetzt. Diese Fragen erfassen, wie sehr sich jemand mit dem Thema gesunde Ernährung beschäftigt, wie negativ oder positiv er gegenwärtige Lebensmittel bewertet und ob bei Konsum ungesunder Lebensmittel negative Gedanken, wie Schuldgefühle, auftreten.

Insgesamt wies der Fragebogen in der Studie bei 71% der Befragten auf orthorektische Tendenzen hin. Nicht überraschend erreichte außerdem die Stichprobe der Veganerin diesem Fragebogen den höchsten Gruppenmittelwert. Eine weitergehende Analyse dahingehend, inwiefern die Probanden tatsächlich aufgrund ihres Essverhaltens unter Einschränkungen im Alltag oder Erkrankungen litten, zeigte dann aber, dass dies lediglich bei 1% der Befragten der Fall war. Der oftmals zur Erfassung der Orthorexie angewandte Fragebogen Ortho-15 scheint demnach die Häufigkeit einer Orthorexie bei weitem zu überschätzen, indem er eben nicht zwischen krankhaftem und positivem gesunden Essverhalten unterscheidet, sondern gesundes und reflektiertes Essen pauschal unter dem Begriff der Orthorexie abhandelt. Der erhöhte Gruppenmittelwert der Veganer ist entsprechend nicht als kritisch zu bewerten, sondern entspricht der Sachlage, dass Veganer einen hohen Reflektionsgrad bezüglich ihrer Ernährung aufweisen, bestimmte Lebensmittel ausschließen und überdurchschnittlichen Wert auch auf eine gesunde Ernährung legen.

Die Diskussion über das Krankheitskonzept der Orthorexie benötigt eine kritische Begleitung aus veganer Sichtweise, da hinter diesem Konzept offenbar auch Versuche stehen, jede reflektierte Form der Ernährung, die ökologische, gesundheitliche, tierleidbezogene und soziale Aspekte berücksichtigt, als pathologisch zu diffamieren. Sehr deutlich wird diese Tendenz in dem Wirken derUS-Psychologin Wendy Mogel, die es bereits für problematisch hält, wenn Lebensmittel als moralisch gut bzw. schlecht kategorisiert werden, da dadurch die Ernährung zu einer Ersatzreligion werde. Mit dieser Argumantation blendet Wendy Mogel in umfangreichen Ausmaß vorhandene moralische Implikationen der menschlichen Ernährung aus, die in Form von milliardenfachem Tierleid, ausufernder Umweltzerstörung, Welthunger und der Förderung der sogenannten Zivilisationskrankheiten aber fraglos vorliegen.

Wird das Konzept der Orthorexie im Sinne von Wendy Mogul verstanden, droht ein durchaus sinnvolles Störungsmodell zu einem reaktionären-konservativem Konzept zu werden, welches Menschen blind gegenüber den gesundheitlichen und moralischen Folgen ihrer Ernährung machen soll. Wird Orthorexie demgegenüber allein an dem Krankheitswert und dem damit zusammenhängenden Leidensdruck durch das eingeschränkte Essverhalten gemessen, handelt es sich um ein von der veganen Ernährung komplett unabhängiges Konzept, welches keinerlei Relevanz für die Frage hat, ob Menschen sich vegan oder nicht-vegan ernähren sollten.

Bei Diskussionen über die orthorektische Ernährung ist daher immer darauf zu achten, ob von einer ideologisch-konservativen Konzeption zur Absicherung einer ungesunden und ethisch unverträglichen Fleisch- und Tierprodukte-Ernährung oder von einem tatsächlich wissenschaftlich neutralem Grundkonzept ausgegangen wird. Letzteres hat für die vegane Ernährung an sich keine Relevanz, ersteres istaber als ein ideologisch-reaktionärer Angriff auf die vegane Ernährung zu bewerten.

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