Fehlernährtes Kind in Australien: Mit vegan nichts zu tun

Fehlernährtes Kind in Australien: Mit vegan nichts zu tun

Erneut berichten weltweit Medien über die angebliche Schädigung der Gesundheit eines Kindes durch eine vegane Ernährung.

Gleich im Untertitel heißt es bei Spiegel-Online:

  • in Australien droht Eltern eine Gefängnisstrafe, weil sie ihrem Kind mit einer streng veganen Ernährung geschadet haben.

Schaffung von Vorurteilen

Durch die Koppelung von Begriffen, die nichts miteinander zu tun haben, können Medien Vorurteile in der Bevölkerung etablieren.

Dies wirkt umso mehr, je öfter die entsprechenden Koppelungen stattfinden.

Besonders starke Wirksamkeit entfalten solche Koppelungen in Titeln oder Untertiteln. Diese sind die meisten gelesenen Teile von Medien-Artikel. Was dort steht, bleibt viel öfter in der Erinnerung als der gesamte Text.

Je öfter Medien von Gesundheitsschäden durch vegane Ernährung bei Kindern berichten, desto häufiger glauben Leserinnen und Lesern, dass die vegane Ernährung gesundheitsschädlich sei.

Je weniger Gesundheitsschäden bei Kindern mit omnivorer Fleischkost in Verbindung gebracht werden, desto weniger glauben Leserinnen oder Leser, dass Fleischkost für ein Kind ein Problem sei.

Das Phänomen ist bekannt und gut untersucht von der Berichterstattung über Kriminalität:

Dort wird durch Überschriften, Unter-Überschriften und die Häufigkeit von Berichten über bestimmte Themen eine Diskrepanz zwischen der subjektiven Wahrnehmung der Bevölkerung und der Wirklichkeit erzeugt.

So ist beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland seit fast zwei Jahrzehnten die Wahrscheinlichkeit abnehmend, Opfer einer Gewaltstraftat, einschließlich einer Sexualstraftat, zu werden. Trotzdem steigt die subjektive Kriminalitätsfurcht wegen der inflationären Berichte an.

Demagogen und Fremdenfeinde greifen diese Chance auf und erzeugen ein Klima der Hetze gegen Ausländer und Asylbewerber, indem sie die Nationalität oder den Status als Flüchtling an Berichte über Kriminalität koppeln.

So wie Ausländer und Asylbewerber Opfer solcher Falschdarstellungen werden, geht es auch veganen Eltern:

Bei den meisten Leserinnen und Lesern dürfte aber eher der Untertitel im Spiegel-Bericht hängen bleiben und der impliziert, dass die vegane Ernährung für Kinder gefährlich sei. Damit werden Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren, dem Vorwurf ausgesetzt, die misshandelten ihre Kinder.

Sachlage ist, dass kein Kind durch eine gut geplante vegane Ernährung verstirbt oder Schäden erleidet. Sachlage ist allerdings ebenfalls, dass es viele schwere Formen der Mangelernährung bei Kindern und auch viele Formen von Kindesmisshandlung gibt. Dies betrifft Kinder, die mit Fleisch ernährt werden, die vegetarisch ernährt werden oder die vegan ernährt werden. Es hat mit der Ernährungsform tatsächlich nichts zu tun.

Es gibt Eltern, die beispielsweise aufgrund von ideologischen Fehlinformationen und Aberglauben oder eigenen psychischen Störungen, ihre Kinder fehlernähren. Dies kann zu Schädigungen, im schlimmsten Fall sogar zum Tod der betroffenen Kinder führen.

Wird dies in der Medienberichterstattung pauschal und kausal mit dem Begriff vegan verknüpft, wird ein Klima der Hetze gegen vegane Eltern und Familien geschaffen.

Dies dient dem Kindeswohl ebenso wenig wie Hetze gegen Ausländer und Asylbewerber dem inneren Frieden dient.

Was ist im aktuellen Fall tatsächlich geschehen?

Nur wenige Medienberichte stellen die Fakten ausführlicher dar. Aus ihnen lässt sich das Geschehen folgendermaßen rekonstruieren:

  • ein 19 Monate altes Kind wurde in Australien den Eltern entzogen, weil es seit seiner Geburt nicht beim Arzt war und schwerste körperliche Auffälligkeiten Entwicklung-Verzögerungen aufwies. Die Ernährung erfolgte weitgehend mit Reismilch, Haferflocken, Toast mit Erdnussbutter und Fruchtaufstrich.
  • spezifisch wird die Ernährung so beschrieben, dass das Kind morgens eine Tasse Reismilch mit Haferflocken bekommen habe, mittags Toast mit Fruchtaufstrich und Erdnussbutter, sowie abends Tofu, Reis oder Kartoffeln. Da das Kind aber nach Angaben der Mutter ein sehr wählerischer Esser gewesen sei, sei es auch abends oft bei Haferflocken geblieben.
  • sowohl die Menge als auch die Zusammensetzung der Ernährung waren offensichtlich völlig unzureichend für ein Kleinkind.
  • der Anwalt der Mutter wiederum teilt mit, die Mutter sei depressiv gewesen. Sie habe nur 3,5 Stunden nach der Geburt des Kindes bereits das Krankenhaus verlassen, habe die Geburt nicht registriert und das Kind auch nicht impfen lassen. Sie habe einen großen Teil des Tages im Bett verbracht. Anrufe des Hausarztes habe sie ignoriert.
  • die Fragestellung einer klinischen Depression ist kontrovers, wurde jedenfalls von einer Gerichtspsychologin jedenfalls in Abrede gestellt.
  • sicher ist, dass beide Eltern keinerlei Schritte unternahmen, das Kind einem Arzt zu vorzustellen, auch nicht als schwere gesundheitliche Probleme und Entwicklungsverzögerungen sichtbar wurden. Unter anderem ignorierten die Eltern es, dass ihr Kind nicht begann, zu gehen oder zu sprechen.

Kein Bezug zu vegan

Wie die Medien derartige Verhaltensauffälligkeiten mit dem Begriff vegan als Ursache verbinden können, ist schleierhaft. Im Grunde genommen ist es nicht einmal schleierhaft, sondern weist auf eine oberflächliche Recherche und Berichterstattung hin.

Tatsächlich ist - abgesehen von dem, was ich oben zusammengefasst habe - kaum etwas Weiteres über die konkrete Ernährung und Behandlung des Kindes bekannt.

Es scheint auch niemanden in der Medienlandschaft zu interessieren, die Schlagzeile genügt. Im Artikel bei Spiegel-Online fehlen selbst die groben Details.

Diese Form der Berichterstattung in den Medien ist unverantwortlich und gefährlich, denn sie führt dazu, vegane Familien zum Opfer von Vorurteilen und Diskriminierung werden.

  • Menschen lesen vegan und Kindesschädigung und merken sich einen scheinbaren Zusammenhang, der tatsächlich nicht existiert.

Der geschilderte Fall ist in Wirklichkeit kein Fall von veganen Eltern (übrigens lebt mindestens der Vater nach Angaben seines Anwaltes nicht einmal vegan), die durch eine vegane Ernährung ihr Kind geschädigt hätten. Dies ist ein Fall von Eltern, die womöglich aufgrund von psychischer Krankheit oder ideologischer Verzerrung, ihrem Kind durch eine schwere Fehlernährung und auch weitere Vernachlässigung (zum Beispiel keinerlei Vorstellung beim Arzt) schwere Schäden zugefügt haben.

Es gibt nicht die geringsten Hinweise, dass eine derartige Form schwerer Vernachlässigung und Fehlernährung bei veganen Eltern häufiger vorkommen würde als bei nicht-veganen Eltern.

Verschärfung anti-veganen Klimas

Verstärkt wird durch solche Berichterstattung ein Klima von Angriffen gegen vegane Eltern und Familien, welches bereits längst existiert:

  • Rechtspopulisten greifen die vegane Ernährung und spezifisch die veganen Kinderernährung an. In Deutschland nutzt die AfD die Landesparlamente, um gegen die vegane Ernährung von Kindern und allgemeine gegen den Veganismus zu hetzen
  • in Berlin wurde gar eine vegane Kindertagesstätte verboten
  • Gerichtsurteile verweigern veganen Kindern die vegane Ernährung
  • die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) erkennt zwar mittlerweile an, dass eine gesunde vegane Ernährung von Kindern möglich ist, bleibt aber dennoch bei ihrer konservativen, kritischen Haltung. Weit über die Stellungnahme der DGE hinausgehend hat sich deren präsident Helmut Heseker soweit vergriffen, dass er veganen Eltern Malträtierung ihrer Kinder vorwirft.
  • soeben hat die medizinische Akademie Belgiens eine skandalöse Stellungnahme unter Federführung des Arztes Georges Casimir erstellt, gemäß der Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten. Hintergrund dieser Stellungnahme sind übrigens ebenfalls Einzelfälle, bei denen Eltern ihre Kinder ausschließlich mit Reismilch ernährten und die nunmehr in unwissenschaftlicher und moralisch verwerflicher Art und Weise allen veganen Eltern angelastet werden.

Sämtliche dieser anti-veganen Aktivitäten kennzeichnen sich dadurch, dass sie mit den wissenschaftlichen Fakten nicht übereinstimmen. Der wissenschaftliche Forschungsstand zeigt, dass bei Zuführung von Vitamin B12 und gut geplanter Kost eine vegane Ernährung im Kindesalter ungefährlich ist und die Gesundheit der Kinder, gerade auch langfristig, sogar fördern kann.

Gemäß der Academy of Nutrition and Diatetics können sich vegan lebende Kinder begründete Hoffnung machen, später weniger von Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs betroffen zu sein.

Alle Kritiker der veganen Kinderernährung fokussieren sich selektiv auf vegan, ignorieren aber die Epidemie von Übergewicht im Kindesalter, die aktuell in allen westlichen Industriestaaten zu beobachten ist und mit der omnivoren Ernährung korreliert ist. Dies ähnelt dem Verhalten von Fremdenfeinden, die sich ausschließlich für durch Ausländer begangene Straftaten interessieren, durch Deutsche begangene Straftaten aber gerne ignorieren.

Wer so selektiv Informationen aufgreift und darstellt, betreibt keine Aufklärung, sondern Desinformation. Leider gilt dies nicht nur für Spiegel-Online, sondern für viele Medien-Artikel, die sich auf vegane Kinderernährung und auch den aktuellen Fall von Kindesmisshandlung beziehen.

Übrigens hat das Portal vegan.at hier ebenfalls eine lesenswerte Stellungnahme zu dem Fall verfasst.

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