Veganer: Wie häufig sind nicht-vegane Essimpulse

Vor 31 Jahren hörte ich im Alter von 13 Jahren auf, Fleisch zu essen. Vorher hatte ich es mehrfach probiert, aber war gescheitert. Vor 27 Jahren wurde mir klar, dass der Schritt zur veganen Ernährung und Lebensweise notwendig ist.
Aber habe ich seither nie mehr wissentlich Produkte gegessen, in denen Eier oder Milch enthalten waren?
Leider muss ich diese Frage verneinen. Denn seit dem Beginn der veganen Lebensweise gab es bei mir mehrfach Momente, in denen ich wissentlich Produkte aß, in denen Milch (Käse, Joghurt) oder auch Eier (Kuchen, Süßigkeiten) enthalten waren.
Der letzte Vorfall liegt mehr als 10 Jahre zurück. Damals pendelte ich regelmäßig zwischen Hannover, wo ich wohnte, und Bremen, wo ich damals in der forensischen Psychiatrie als Psychologe arbeitete. Es ereignete sich nach der Arbeit auf dem Rückweg und immer beim Warten auf den Zug.
Wie gelang es mir, dem ein Ende zu bereiten?
- Ich gestand mir ein, dass derartige Zwischenfälle mit meinem veganen Selbstbild nicht vereinbar sind. Vorher hatte ich mir die Zwischenfälle schön geredet. Ganz nach dem Motto, ich lebe ja schon zu 99% vegan und da sei es nicht so schlimm, wenn ich auch einmal etwas Nicht-Veganes esse. Auch entschuldigte ich mein Verhalten mit den vielen anderen, die sich ja viel schlimmer verhielten. Nun aber entschloss ich mich, künftige Rückfälle in einen nicht-veganen Konsum nicht mehr zulassen zu wollen.
- Ich analysierte die Situation und konnte die auslösenden Faktoren erkennen. Es waren das Warten auf den Zug, die Erschöpfung nach der Arbeit, der Hunger, aber auch der Appetit, und die direkte Verfügbarkeit eines nicht-veganen Warenangebotes, während die veganen Alternativen fehlten. In Kombination mit meinem inneren Schönreden genügte dies, um meine seit vielen Jahren aufgebauten Barrieren gegen den Konsum von Tierprodukten kurzzeitig zu überwinden.
- Ich machte einen konkreten Plan gegen den nicht-veganen Konsum. Dieser beinhaltete, möglichst eine vegane Alternative dabei zu haben, mir aber auch innerlich ein klares Stopp zuzurufen, wenn ich Impulse zum Konsum nicht-veganer Lebensmittel bei mir wahrnahm.
Häufigkeit nicht-veganen Konsums
In der veganen Community wird nahezu niemals darüber geredet, aber ich bin mir sicher, dass ich nicht alleine mit meinen Erfahrungen stehe. Jetzt weiß ich dies sogar ganz genau durch die Daten einer Umfrage, die wir gemeinsam mit Gleichklang.de bei vegan.eu durchführten:
Von 1447 Teilnehmern gaben 28% oder 410 Teilnehmer an, in den letzten Wochen mindestens einmal ein Produkt gegessen zu haben, welches Fleisch, Milch oder Eier enthielt. Betroffen waren vegane Frauen ebenso wie vegane Männer. Dies Ergebnis ergab sich bei einer Stichprobe von Personen, die im Durchschnitt bereits mehr als drei Jahre vegan lebten!
Aber selbst als ich die Datenauswertung auf Personen beschränkte, die bereits seit mindestens 10 Jahren vegan lebten, waren es nach wie vor 15%, die angaben, allein innerhalb der letzten vier Wochen wissentlich Lebensmittel mit Fleisch, Milch oder Eiern gegessen zu haben.
Sicherlich wäre der Anteil der Personen mit nicht-veganem Konsum noch weitaus höher gewesen, wenn die Teilnehmer nicht nur nach den letzten vier Wochen, sondern beispielsweise nach den letzten 12 Monaten gefragt worden wären.
Die vorliegenden Daten sagen mir, dass nicht-veganer Konsum mit der Dauer der veganen Lebensweise abnimmt. Aber der Effekt ist nicht sehr stark. Letztlich kann es auch noch nach Jahrzehnten der veganen Lebensweise zu nicht-veganen Konsumdurchbrüchen kommen.
Reden statt Schweigen
Wieso wird also in der veganen Community so wenig über dieses Thema geredet? Ist es vielleicht sogar besser, über die Thema lieber zu schweigen, auch um den Ruf des Veganismus in der Öffentlichkeit nicht zu gefährden?
Ich halte Schweigen für den falschen Weg. Denn nicht-vegane Essimpulse bei vegan lebenden Menschen sind nach meiner Ansicht ein durchaus lösbares Problem. Voraussetzung ist aber, dies Thema nicht zu tabuisieren, sondern es als Problem zu erkennen und so die Betroffenen - und es dürften viele sein – dabei zu unterstützen, dem Impuls zum nicht-veganen Konsum Widerstand entgegen zu setzen. Je häufiger dies gelingt, desto mehr wird der Impuls abnehmen. Die Herausarbeitung eines individuellen Rückfallplanes und soziale Unterstützung durch andere Veganer können hier wahre Wunder wirken.
Aktive Unterstützung gegen nicht-vegane Essensimpulse ist nach meiner Überzeugung auch deshalb wichtig, weil in manchen Fällen der gelegentliche Durchbruch sich schleichend zum Abschied von der veganen Lebensweise ausweiten kann.
Wer mehrfach und immer wieder gegen das eigene vegane Selbstbild verstößt, der mag zu dem Schluss gelangen, dass er gar nicht vegan leben wolle oder könne. Dieser Schluss ist aber der Resignation geschuldet. Stattdessen sollten wir in der veganen Community offen über das Problem reden und Lösungen aufzeigen.
Auf dem Weg
Für nicht-vegane Essimpulse brauchen sich Veganer nicht zu schämen. Denn solche Impulse sind durchaus natürlich. Sie entsprechen der jahrelangen, für manche gar jahrzehntelangen Konditionierung durch die vollständig auf Tierausbeutung beruhende gesellschaftliche Ernährungspraxis.
Die Entscheidung für die vegane Lebensweise bedeutet nicht, dass diese konditionierten Impulse von einem auf dem anderen Tag verschwinden würden. Im Gegenteil können sie selbst über Jahrzehnte erhalten bleiben und immer wieder reaktiviert werden. Umso wichtiger ist es, dass die vegane Community beginnt, über dies Problem zu reden und es so als das zu betrachten, was es ist: Ein wegzuräumendes Hindernis auf dem Weg zu einem von Tierausbeutung befreitem Leben.
Verfasser: Guido F. Gebauer, Psychologe, Rechtspsychologe, Studium an den Universitäten Trier, Humboldt-Universität zu Berlin und University of Cambridge (UK), Promotion an der University of Cambridge, 10 jährige Tätigkeit als Gerichtsgutachter, arbeitet jetzt u. a. für die Kennenlern-Plattform Gleichklang.de und schreibt regelmäßig auf menschenrechte.eu und vegan.eu.
Ich bin seit 2,5 Jahren Veganerin aus ethischen und sozial-ökologischen Gründen und auch ich bin "meistens" eine 100%ige. Darüber hinaus versuche ich aber auch einen sehr hohen Rohkostanteil zu haben. Vielleicht setze ich mich auch zu sehr unter Druck …
Ich habe seitdem nie wieder totes Tier gegessen. Jedoch 2 – 4 x im Jahr etwas das Milch oder Ei enthielt. Gerade in dieser Weihnachtszeit 2016 ist es mir extrem schwer gefallen, auf alles, was ich immer so geliebt habe, zu 100 % zu verzichten. So habe ich schon mal einen nicht veganen Schokonikolaus oder Rocher gegessen. Auch schon mal nicht veganen Kuchen.
Ich denke, das einzige "wirkliche" Problem, das wir haben, ist, dass es diese Sachen nicht "greifbar" in veganer Variation gibt. Hätte es den Schokonikolaus o. ä. in veganer Form in meinem Supermarkt gegeben, hätte ich zu 1000 % nach dem gegriffen, aber da es für so vieles, dass wir jahre- und jahrzentelang so sehr geliebt haben keine veganen (schon gar unmittelbar verfügbaren) Variationen gibt, ist die Verführung manchmal schon groß. In meinem Bioladen in Bad Homburg ist das vegane Angebot nicht so groß. Einen Veganz müsste es halt in jedem Ort geben und insgesamt eine noch größere Auswahl. Mich hat es die Tage so sehr nach Bienenstich gelüstet, ich weiß nicht warum. Glaube nicht, dass es so etwas in vegan schon gibt.
Gottseidank passiert mir so etwas nur an Weihnachten. Mein Anspruch an eine gesunde Lebensweise mit hohem Rohkostanteil und ohne Mehlprodukte (auf die ich regelmäßig Heißhunger bekomme) ist schon sehr hoch. Aber ich denke, ich mache es mir wahrscheinlich nur selbst schwer und sollte in allem, was ich mache nicht zu dogmatisch sein. Das würde ich auch allen anderen empfehlen.
Und hier nochmal an alle Produzenten: Seid kreativ, macht uns das vegane Leben leichter!!
In diesem Sinne wünsche ich allen ein frohes, glückliches und gesundes, veganes Jahr 2017.
Ein Süchtiger läuft bei einem Rückfall Gefahr bei seinem Stoff zu bleiben – bei einem Veganer ist die Gefahr nach einem "Regelverstoss" eher gering. Ausser seine Ernährungsweise hat(te) Suchtcharakter (Casomorphin u. Co.) Habe selber in 6 Jahren veganer Zeit ein paar kleine Abweichungen begangen und es einfach nicht so wichtig genommen. Veganer sind auch nur Menschen. Wenn auch die Besseren. (Das behaupten die Tiere jedenfalls ;-))
Ich lebe seit 2 Jahren Vegan, vor allem aus ethischen Gründen, aber auch der Umwelt und dem Gewichtsverlust wegen. Ich hatte bis jetzt keine Rückfälle, allerdings kam es ein paar mal vor, dass ich etwas unaufmersam war und etwas gegessen habe, das Milch oder Eier enthalten hat. Mir passiert es schon ab und zu mal, dass ich wirklich Lust auf etwas nicht veganes habe. Vor allem, wenn ich unterwegs bin und die Auswahl an veganem essen zwischen Pommes mit oder ohne Katchup liegt. Was mich allerdings immer davon abgehalten hat, in solch einem Fall etwas nicht veganes zu essen ist, dass ich nicht darüber nachdenke, wie lecker und zufriedenstellend es wäre, das nicht vegane Essen zu essen, sonder ich denke darüber nach, ob es das wert wäre. Und die Antwort ist immer Nein.
ja das ist ein echtes Problem,weil man halt kaum etwas Veganes zu futtern kriegt, wenn man gerade Heißhunger hat und von Überall Essensgerüche auf einen einstürmen, ich kaufe dann etwas wo ich denke da kann kein Tier drin sein und bei näherem Nachfragen war es dann doch ein Zusatz aus Tier da ärgere ich mich sehr
Ich denke, wenn es gefühlsmäßig begriffen wurde, um was es geht und wie elementar wichtig die Ernährungsumstellung zur Pflanzenkost für die Menschen, die Tiere und den ganzen Planeten ist, dann kann es keine Rückfälle mehr geben. Das pendelt sich also entsprechend dem Wissens-und Bewusstseinsstand ein. Davon abgesehen verändert sich ja auch das Schmecken. Bei mir ist es z.B. nach jetzt 13 Jahren Veganismus so, dass mir Tierisches einfach nicht mehr schmeckt(wenn ich aus Versehen einen Kuchen mit Butter oder Ei hatte, hab ich das ausgespuckt) ! Und mich ekelt es heute schon allein bei der Vorstellung, mir Fleisch oder Tiersekrete einzuverleiben. Und das geht glaub ich vielen echten Veganern genauso. Ich stehe jetzt gerade vor der Umstellung zu 100% rohvegan und denke, dass das dann irgendwann genauso sein wird, dass mir Gekochtes dann einfach nicht mehr schmeckt!
Nicht verfügbar, kein passendes Angebot und weitere, nicht nachvollziehbare Argumente, die ganz sicher keine "Entschuldigung" für das inkonsequente Verhalten sind. Viel ehrlicher ist es doch, wenn man sich eingesteht, eben nicht, aus welchen Gründen auch immer, verzichten zu wollen.
Ich lebe seit über vier Jahren vegan und für mich gibt es keine "Entschuldigung" für den Bruch dieser durchdachten Einstellung.
Aber die Erklärung habe ich für mich. Die Menschen, damit auch ich, leben in vielem in einer kognitiven Dissonanz. Was die Ernährung betrifft habe ich es verstanden, jedoch bei anderem reagiere ich wahrscheinlich auch aus Unwissen in einer Unvereinbarkeit und bleibe bei meinen Gewohnheiten kleben.
Wir leben in einem Umfeld, indem Lebensmittel ständig und im Übermass vorhanden sind. So kann man als Veganer immer etwas essen oder einfach ein bisschen hungern. Es ist nicht nachvollziehbar aus ethischen Gründen vegan leben zu wollen, aber nicht die Bereitschaft dazu aufbringen zu wollen, Hunger "nur" für kurze Zeit auszuhalten, wo doch jeden Tag viele Menschen an Hunger sterben.
ich lebe seit 4 1/2 Jahren vegan, davor 21 Jahre vegetarisch. Verlangen nach nicht veganem habe ich nicht, totes Tier widert mich an. Ich achte sehr darauf, MEIN Geld nicht für tierisches auszugeben. Und doch esse ich hin und wieder nicht veganes und zwar als Gast. Ich möchte nicht unangenehm auffallen und immer wieder nachfragen, was denn drin ist. Dazu kommt, ich stamme aus einer Bauernfamilie, die partout kein Verständnis für Veganismus hat. Letztens wurde ich gefragt, wer mir denn diese Flausen in den Kopf gesetzt hätte. Erklärung und Diskussion zwecklos. Hierzu möchte ich noch sagen, daß ich hörgeschädigt und somit kommunikationstechnisch anstrengend bin. Ich habe Sorge, daß ich für Gastgeber und andere Gäste zu stressig bin. Teilweise werde ich bereits diskriminiert. Zuhause halte ich es so, wie ich es für gut und richtig halte, nämlich komplett tierfrei.
Gerti: Wenn Sie hin und wieder als Gast nicht-Veganes essen, sind Sie aber nicht "seit 4 1/2 Jahren vegan!
Ich möchte Ihnen raten, trotz der vermeintlichen Schwierigkeiten komplett vegan zu werden. Mit halbherziger Anpassung an ein völlig verkehrtes System tun Sie sich und der Welt keinen Gefallen!
Drawida und Gerti: Toll! Sofort machen sich die ersten Vegan-Kommissare auf und entscheiden selbstgefällig, wer vegan und nicht vegan ist und verteilen ungefragt theoriegetrocknete Rat-Schläge. Wer im nicht-veganen Umfeld umsichtig agiert, handelt nicht halbherzig sondern empatisch und sozialkompetent. Menschen sind schliesslich auch Tiere.
Geronymo und Drawida: Geronymo hat recht. Umsichtig und sozialverträglich bedeutet nicht "halbherzig". Im Gegenteil, man erreicht dadurch mehr als durch rigorose und offen zur Schau gestellte Ablehnung der (zahlenmäßig weit überlegenen!) omnivoren Gesellschaft und ihrer Ansichten. Denn Abwehr erzeugt erfahrungsgemäß Gegenwehr. Man kann sich nicht immer und überall konsequent "dagegenstellen", wenn man wie z.Bsp. Gerti ständig in einem überzeugt-fleischessenden Umfeld (Familie, Arbeitsplatz, Freundes- u. Bekanntenkreis…) befindet. Ich glaube auch kaum, dass der Freundeskreis aller Veganer auch nur aus Veganern besteht (wo sind die denn alle? Ich persönlich kenne keinen einzigen in meinem Umfeld und nur vier Vegetarier. Manchmal muss man eben oberflächlich minimal angepasst in einem System mitlaufen, um an eben diesem System etwas zu ändern – anstatt sich komplett auszuklinken und ihm den Rücken zuzukehren! Denn sonst hat man zwar sein eigenes Leben ethisch (nicht unbedingt sozial) besser gemeistert, aber am großen Ganzen hat man trotzdem kaum was geändert. Weil man für die meisten omnivoren Menschen zu nervig ist und sie keine Lust mehr auf Veganer-Kontakt haben.
[…] Mensch ist perfekt, was nicht zuletzt auch häufiger als wir so meinen immer wieder auftretende temporäre Rückfälle in nicht-vegane Verhaltensweisen deutlich […]