Fleischesser bewerten Fleischverzicht als moralisch besser

Fleischesser bewerten Fleischverzicht als moralisch besser

Ruby und Heine (2011) von der University of British Columbia in Vancouver führten zwei Studien durch zur Untersuchung der moralischen Bewertung von Fleischkonsum bzw. einer vegetarischen Lebensweise:

In einer ersten Studie legten sie 273 fleischessenden (Omnivoren/Mischköstler) oder vegetarischen Studenten fiktive Profile von Personen vor, die sich ausschließlich in der Art der verzehrten Lebensmittel unterschieden, wobei entweder Fleischprodukte pflanzliche Produkte verzehrt wurden. Nachfolgend wurden die Studenten gebeten, die in den Profilen dargestellten fiktiven Personen auf einer Moralitäts-Skala und einer Maskulinitäts-Skala einzuschätzen.

In einer zweiten Studie bewerteten 88 fleischessende Studenten fiktive Personen-Profile, wo nicht lediglich Lebensmittel benannt wurden, sondern die Personen explizit als Vegetarier oder fleischessende Personen beschrieben wurden. Im Anschluss wurde erneut die Moralitäts- und Maskulinitäts-Skala vorgegeben, wobei zusätzlich aber auch die Ähnlichkeit der fiktiven Profil-Personen zur eigenen Person erfragt wurde.

Für den Gesamtpunktewert der Moralitätsskala wurden die Einschätzungen in den folgenden bipolaren Items aufsummiert: tolerant/intolerant, ethisch/unethisch, weichherzig/grausam, rücksichtsvoll/rücksichtslos, betroffen/unberührt, sowie tugendhaft/unmoralisch (Englisches Original: tolerant of others/intolerant of others, ethical/unethical, kind-hearted/cruel, considerate/inconsiderate, concerned/unconcerned, virtuous/immoral. Für den Gesamtpunktewert der Maskulinätsskala wurde die Summe über die beiden bipolaren Items maskulin/nicht maskulin, sowie feminin/nicht feminin gebildet. Beide Skalen zeigten eine zufriedenstellende interne Konsistenz, so dass es also sinnvoll und legitim war, die Werte zu jeweils zwei Gesamtpunktewerten zu addieren.

Was sind die Ergebnisse?

In der ersten Studie erhielten Profil-Personen, diepflanzliche Lebensmittel konsumierten, höhere Moralitäts- und geringere Maskulinitätswerte.Zwar wiesen vegetarisch lebende Studenten den sich pflanzlich ernährenden Studenten noch höhere Moralitätswerte zu als dies die fleischessenden Studenten taten, aber auch die fleischessenden Studenten bewerteten die sich pflanzlich ernährenden Personen als signifikant moralischer als die sich mit Fleischprodukten ernährenden Personen.

In der zweiten Studie wurden den Vegetarier-Profilen durch die fleischessenden Studenten höhere Moralitäts- und geringere Maskulinitätswerte zugewiesen, wobei sich die fleischessenden Studentenselbst gleichzeitig als signifikant ähnlicher mit den fleischessenden Profil-Personen einstuften.

Wie sind die Befunde zu bewerten?

Menschen verzichten auf Fleisch aus unterschiedlichen Gründen, wobei ethische Gründe – neben gesundheitlichen Gründen - oft eine wesentliche Rolle spielen. Die Befunde von Ruby und Heine zeigen, dass tatsächlich der Verzicht auf Fleisch allgemein als moralisch besonders zu schätzen bewertet wird, was nicht nur Vegetarier, sondern ebenfalls fleischessende Personen betrifft. Demnach sind sich Personen, die Fleisch essen, der moralischen Problematik ihres Verhaltens bewusst, und bewerten Fleischkonsum als ein letztlich – jedenfalls im Vergleich zum Konsum von Pflanzen - unmoralisches Verhalten. Denn nur ein solches Bewusstsein kann erklären, warum fleischessende Personen Vegetarier als moralischer einschätzen, obwohl sich die Vegetarier in den vorgelegten Profilen ausschließlich durch ihre vegetarische Lebensweise von den Fleischessern unterschieden. Außerdem wird eine Assoziation zwischen Fleischkonsum und Maskulinität deutlich. Dies deutet auf die Fortdauer eines eigentlich überholten Männlichkeits-Bildes und dessen Assoziation mit Fleischkonsum hin.

Was kann weitergehend gefolgert werden?

Wir selbst beobachten auf unseren Facebook-Seiten und anderswo immer wieder äußerst negative und aggressive Kommentare von fleischessenden Menschen, die sich zur veganen oder vegetarischen Lebensweise äußern. Dieses Phänomen ist ebenfalls mittlerweile wissenschaftlich untersucht und es kann als gesichert gelten, dass es Tendenzen zur systematischen öffentlichen Abwertung von vegan oder vegetarisch lebenden Personen durch fleischessende Personen gibt.

Ein wesentlicher, auch von uns immer wieder beobachteter Vorwurf fleischessender Menschen an Veganer oder Vegetarier ist, dass diese sich als die besseren Menschen definieren würden. Tatsächlich zeigt eine Untersuchung sogar, dass die bloße schweigende Präsenz eines Vegetariers dafür genügt, dass sich manche fleischessende Personen abgewertet fühlen, weshalb sie mit Anfeindungen reagieren.

Die Untersuchungsbefunde von Ruby und Heine scheinen diesen negativen Einschätzungen von vegan oder vegetarisch lebenden Menschen durch fleischessende Menschen zunächst zu widersprechen, können aber in Wirklichkeit die zu beobachtenden Anfeindungen von vegan oder vegetarisch lebenden Menschen durch fleischessende Menschen sehr gut erklären:

Fleischessende Menschen erheben den Vorwurf gegen Veganer oder Vegetarier, dass diese sich als bessere Menschen verstünden, weil tatsächlich sie selbst davon ausgehen, dass Fleischkonsum ein letztlich unmoralisches Verhalten ist. Es ist fleischessenden Menschen offenbar bewusst, dass durch diese Form der Ernährung Leid erzeugt wird, welches nicht erzeugt werden würde, wenn eine pflanzenbasierte Ernährung gewählt werden würde.

Allerdings sehen sich fleischessende Menschen mit dem Problem konfrontiert, dass sie selbst dieses von der eigenen Person als unmoralisch bewertete Verhalten zeigen, weshalb sie sich auch in der Studie von Ruby und Heine stärker mit den fleischessenden Profil-Personen identifizierten als mit den Vegetariern.

Tritt nun eine vegan oder vegetarisch lebende Person in das Umfeld einer fleischessenden Person - ob direkt oder über Berichterstattung – wird das Wissen über das eigentlich nach den eigenen Maßstäben unmoralische eigene Verhalten unmittelbar aktiviert, wodurch sich die fleischessende Person im Vergleich zum Veganer oder Vegetarier als abgewertet erlebt.

Diese Abwertung geht jedoch tatsächlich nicht von der vegan oder vegetarisch lebenden Person aus,sondern entspricht der Eigenbewertung der fleischessenden Person.

Um sich gegen die Abwertung zu schützen, ohne das eigene fest als Gewohnheit verankerte Verhalten ändern zu müssen (wir neigen dazu, uns gegen Veränderungen von Gewohnheiten zu sperren), erfolgt eine Strategie des Angriffes gegen den (oft sogar schweigenden) „Überbringer der schlechten Nachricht“, um sich so nicht mit der eigenen Problematik auseinandersetzen zu müssen.

Was bedeutet dies für den Dialog mit fleischessenden Menschen?

Um mit fleischessenden Menschen in einen wirkungsvollen Dialog zu treten, dürfte es sinnvoller sein, ihnen mit zwar klaren Argumenten, aber doch Wertschätzung und Verständnis gegenüber zu treten, als die durch die fleischessende Person bereits erlebte Abwertung weiter zu verstärken.

Eine Lösung für das durch die fleischessende Person in Wirklichkeit selbst erlebte Problem ist möglich und sie besteht in der Annahme einer fleischlosen Ernährungsweise, deren Umsetzbarkeit und Vorteile daher in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt werden sollte.

Es sollte Fleischreduktion bereits als ein erster Schritt positiv bewertet werden, ebenso wie die vegetarische Lebensweise dem Fleischkonsum vorzuziehen und als solche positiv zu wertzuschätzen ist, auch wenn der Veganismus der konsequenteste Umgang mit dem eigenen Unbehagen der Menschen überihren Umgang mit Tieren ist.

Typischerweise wird die vegane Lebensweise nicht sofort angenommen, sondern entwickelt sich erst über den daher unbedingt zu fördernden Zwischenschritt der vegetarischen Lebensweise.

Der weiteren Ausbreitung einer pflanzenbasierten Ernährung, die auf Fleisch und Tierprodukte verzichtet, dürfte auf Einstellungsebene teilweise noch ein überholtes Männlichkeits-Bild entgegenstehen, welches Werte von Rücksichtslosigkeit und Aggressivität als maskulin einordnet. Mit zunehmender Gleichberechtigung aller Geschlechter ist es aber zu erwarten, dass diese Barriere schrittweise weiter abgebaut werden wird und Matcho-Attitüden künftig der Ausbreitung einer pflanzenbasierten Ernährung nicht mehr entgegenstehen werden.

(Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass die Studie Einstellungen zum Vegetarismus, nicht aber direkt zur veganen Lebensweise untersuchen wollte. Allerdings sind die Lebensmittel, die in der ersten Studie für die „Vegetarier-Profile“ benannt wurden, ausschließlich pflanzlich gewesen, so dass eine Übertragung der Befunde auf die Bewertung der veganen Lebensweise plausibel ist.)

Quelle:

Ruby, M. B., Heine, S. J. (2011). Meat, morals, and masculinity,Appetite, 56: 447–450

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