Taureck im Interview: Manifest des veganen Humanismus

Taureck im Interview: Manifest des veganen Humanismus

Der Philosoph Prof. Bernhard H. F. Taureck hat ein Manifest des veganen Humanismus verfasst, welches soeben beim Fink-Verlag erschienen ist. In diesem Manifest plädiert er für eine vollständige Entnutzung der Tiere, die alle Bezüge des Kontaktes zwischen Tier und Mensch betreffen soll. Es geht dabei um die Freilassung der Tiere, die ihr Leben ohne Bedrängnis oder Einschränkung durch den Menschen führen sollen. Dies schließt ein Tötungsverbot ein, welches nur durch das Notwehrrecht aufgehoben werden kann. Hieraus folgt die Notwendigkeit einer veganen Lebensweise.

Anders als klassische Tierrechte-Vertreter, leitet Taureck in einer überraschenden und gleichzeitig stringenten Argumentation die vollständige Entnutzung der Tiere als ethische Forderung an uns alle nicht aus einer Ähnlichkeit zwischen Tier und Mensch ab, sondern aus ihrer Verschiedenartigkeit:

Gerade weil Menschen als Strömungswesen über Geschichte und Geschichtsaufzeichnung verfügten, sollten sie die Andersartigkeit der Tiere als Quellenwesen, die näher bei ihrem Ursprung geblieben seien, ohne Einschränkung respektieren.

Indem Taureck aus der Verschiedenartigkeit von Tier und Mensch die Entnutzung und Freilassung der Tiere begründet, vermeidet er problematische Folgerungen, die sich aus der utilitaristischen Ethik von Peter Singer ergeben. Gemäß der Überlegungen von Singer können sich Lebensrechte für Tiere nur aus ihrer Ähnlichkeit zu geistig gesunden und selbstreflektiven Menschen ergeben. Im Umkehrschlus bedeutet dies, dass Lebensrechte für Menschen, die sich aufgrund von jungem Alter oder geistiger Behinderung (nach Annahmen von Singer) ihrer Selbst nicht bewusst seien, sowie für zahlreiche Tierarten und einzelne Tiere gemäß Singer verneint werden.

Demgegenüber fordert uns die Ethik von Bernhard H. F. Taureck dazu auf, unseren engstirnigen Humanismus-Begriff zu erweitern, Tötungsverbote nicht an geistige Fähigkeiten zu koppeln und den Tieren das zu gewähren, was ihrer Natur gemäß ist, nämlich die Befreiung aus menschlichem Zwang.

Taureck hat mit seinemManifest des veganen Humanismus einen hochgradig bedeutsamen Beitrag für die ethisch fundierte Reflektion über unseren Umgang mit den Tieren und untereinander geleistet. SeinemManifest ist eine umfassende Rezeption zu wünschen.

Prof. Taureck im Interview mit Vegan.eu

Sie plädieren für die vollständige Entnutzung der Tiere. Was ist hierunter zu verstehen? Könnte nicht auf die Forderung einer vollständigen Entnutzung verzichtet und stattdessen zwischen angemessener und missbräuchlicher Nutzung unterschieden werden?

Unterschieden schon. Nur meint eine "angemessene" Nutzung: dem Menschen angemessen. Alle Tiernutzung, die lediglich dem Menschen angemessen ist, abstrahiert davon, wie es den Tieren dabei geht.

Sie haben einen Imperativ der ausnahmslosen Entnutzung der Fauna formuliert: „Niemand darf Tiere zum Zweck irgend einer Nutzung durch den Menschen weder halten, noch züchten, noch töten, noch zum Verzehr bringen, noch verzehren, noch sie dessen berauben, was sie für ihren eigenen Bedarf hervorbringen.“ Glauben Sie, dass die Menschheit als Ganzes oder ein großer Teil von ihr diesen Imperativ tatsächlich annehmen könnte?

Alle Menschen sind in der Lage, diesen Imperativ zu verstehen und nach Wegen zu suchen, ihn zu praktizieren. Die Menschen sind weder auf tierische Nahrung, noch auf tierische KLeidung noch auf tierische Muskelkraft angeweisen. Die Nutzung und Vernutzung von Tieren ist nicht, wie unsere Gewohnheiten, die Ernärungswissenschaft und die Tierverarbeitungsindustrie uns lange Zeit weismachen wollte, etwas Unvermeidbares.

Fällt mit der Entnutzung auch jede Form der Fürsorge außer der Freilassung weg? Beschränkt sich die Tier-Mensch-Beziehung nach Ihrer Ansicht darauf, sich fremd zu sein und möglichst wenig Berührungspunkte miteinander zu haben?

Entnutzung schließt Fürsorge für alle Tiere, die infolge unserer Lebensweise geschädigt werden, ein. Langfristig sollte unsere Lebensweise jedoch so gestaltet werden, dass sie den Tieren nicht mehr schadet.

Singer fordert Menschenrechte für Primaten. Was ist davon aus Ihrer Sichtweise zu halten?

Da Primaten keine Menschen sind, sind Menschenrechte ihnen nicht angemessen. Es müssten daher Primatenrechte erst erfunden werden. Wie diese beschaffen sein könnten, darauf würde man sich, wenn überhaupt, nur mit sehr viel Dissens einigen. Hätte man sich einmal geeinigt, so müssten diese Rechte stellvertretend für die Primaten vertreten werden. Das aber würde zu neuem Dissens führen und endete mit politischen Spielen und Kämpfen um Macht. Das Wohl der Tiere geriete dabei aus dem Blickfeld. Primatenrechte hätten zudem den Nachteil, die Fauna in zwei Bereiche zu teilen in Tiere mit Rechten und Tiere ohne Rechte. Dies könnte zur Folge haben, dass mit den Tieren ohne Rechte noch weit schonungsloser umgangen werden könnte als bisher.

Typischerweise werden Argumente für den Veganismus und gegen Tierausbeutung aus einer angenommenen Gleichheit oder Ähnlichkeit von Mensch und Tier abgeleitet. Sie argumentieren nun im Gegenteil mit der Verschiedenartigkeit. Wieso sollte aus der Verschiedenartigkeit der Tiere ihre Freilassung folgen? Können Sie kurz den Begriff der Strömungswesen und Quellenwesen erläutern, mit denen Sie Mensch und Tier charakterisieren?

Biologisch gesehen, flachen Verschiedenheiten zwischen Tieren und Menschen sicherlich ab. Doch die Reichweite der Biologie erstreckt sich nicht auf alles, was Tier und Mensch ausmacht. Die Verschiedenheit der Tiere zu dem Menschen ist im Zusammenhag zu sehen zu der Verschiedenheit des Menschen zu sich und seinesgleichen. Die Menschen haben sehr langsam gelernt , dass sie nicht genau anzugeben vermögen, was und wer sie selbst sind. Im Verhältnis zueinander fordern sie daher die gegenseitige Anerkennung ihrer Verschiedenheiten. Ein Akzeptieren und Respektieren der fremden Verschiedenheit der Menschen untereinander bildet vielleicht einen der maßgeblichen ethischen Lernprozesse der Menschheit. Wir alle wissen, dass dieser Lernprozess gestört und vielleicht in einem Ausmaß gefährdet ist, der das Überleben der Menschengattung in Frage stellt. Der Gedanke des Akzeptierens und Respektierens fremder Verschiedenheit bildet somit keinen Einwand gegen Ethik, sondern könnte zu ihrem zentralen Anliegen gehören. Wenn wir dies untereinander nur mühsam schaffen, so liegt in unserem Tierbezug die Chance zu einem ethischen Großerfolg: Sofern die Tiere von uns als verschieden und als andersartig wahrgenommen werden, können wir in ihrem Fall eine Einstellung und ein Verhalten praktizieren, was die Andersheit ohne Einschränkung respektiert. Das läuft auf vollständige Entnutzung der Fauna hinaus. Um der Andersheit der Tiere im Unterschied zum Menschen eine metaphorische Bezeichnung zu geben, nenne ich sie Quellenwesen und die Menschen Strömungswesen. In dieser Unterscheidung ist auch enthalten, dass die Tiere das nicht haben, worauf wir einerseits überaus stolz sind und worüber wir uns andererseits immer wieder zutiefst schämen und zu schämen Grund haben: Geschichte, verstanden in dem Doppelsinn von Geschehnissen (res gestae) und Aufzeichnung der Geschehnisse (historia rerum gestarum).

Ist es nicht eine allzu starke Vereinfachung, Mensch und Tier gegenüberzustellen? Es gibt die unterschiedlichsten Tierarten und eine Muschel mag sich doch von einem Schimpansen oder Delphin deutlich unterscheiden?

Mensch und Tier sind beides klassifikatorische Kollektivbegriffe. Der Umfang des Tier-Begriffs ist größer als der des Menschen-Begriffs. Wer "das Tier" sagt, bewegt sich bewusst auf einer abstrakten Ebene. Wer "der Mensch" sagt, ebenso. Diese Abstraktionen sind insofern legitim, als sie eine Spezifizierung nicht aus-, sondern einschließen.

Sie haben einManifest des veganen Humanismus geschrieben. Wieso der Begriff „Manifest“? Stehen die Begriffe vegan und Humanismus nicht im Widerspruch? Wäre es nicht einfacher auf den Begriff des Humanismus, der mit der Unterordnung des Tieres unter die Bedürfnisse des Menschen assoziiert ist, zu verzichten?

Manifest beruht auf dem lateinischen Wort manifestus, offenbar werden. Ein Manifest hat die Aufgabe, Missstände offen zu legen und Vorschläge zu ihrer Behebung zu unterbreiten. Das von mir verfasste Manifest des Veganen Humanismus versucht beide Aufgaben zu erfüllen. Es zeigt die karnivoren Gesellschaft als Sackgasse auf und schlägt ein Ende aller Tiernutzung als Alternative vor. Die Frage nach dem Verzicht auf Humanismus beruht auf einer typischen Fehleinschätzung, die der traditionelle Humanismus erfolgreich verursachte. Humanismus etablierte die Vorstellung einer schrankenlosen Aneignung, Bemesseung und Wertung von allem durch den Menschen. Dabei wurde übersehen, dass wir Menschen die Möglichkeit und die Fähigkeit besitzen, auf eine unbegrenzte Aneignung Verzicht zu leisten und zu unterscheiden zwischen dem, was uns Menschen und was den Tieren zukommt. Humanismus schließt nicht Anthropozentrismus ein. Es kommt darauf an, begrenzte Humanismen zu konzipieren. Ein unbegrenzter Humanismus würde die Erde zu einem Massengrab nicht nur der Tiere, sondern der Menschen selbst werden lassen. Die ökologisch mörderischen Folgen unserer Gier nach Tierfleisch sind bereits heute erkennbar.

Gibt es Bezüge in der Philosophiegeschichte zu Ihrem Plädoyer für einen veganen Humanismus und die Freilassung der Tiere?

Soweit ich sehe, nur mittelbar, nämlich bei Empedokles, später bei Platon und noch später bei Montaigne. Empedokles hält den Verzehr von Tierfleisch für ein Verbrechen. Platon spricht von einer Zeit, als Tiere und Menschen zusammen kamen, um voneinander zu lernen. Und Montaigne spricht den den Tieren als unseren Freunden. Eine Entnutzung lag vermutlich deshalb noch nicht nahe, weil die Menschen zumindest auf tierische Arbeitskraft angewiesen waren.

Wir leben in einer Zeit erneut eskalierender Kriege und massiver Fluchtbewegungen, die durch Kriege, Zerstörung und Elend ausgelöst werden. Welche Antwort würden Sie Menschen geben, die fordern, wir sollten uns zu allererst um den Menschen kümmern?

Die Ansicht, dass wir uns primär um den Menschen zu kümmern haben, übersieht, dass Menschenelend in zweierlei Hinsicht an das menschenerzeugte Tierelend gebunden ist. Zum einen endet die Verrohung, die wir gegenüber Tieren beweisen, nicht bei diesen. Sie greift als agressive Einstellung leicht auf unser Verhältnis zu anderen Menschen über. Zum anderen wäre der jährliche qualvolle Tod von Millionen Menschen an Folgen der Unterernährung vermeidbar, wenn wir auf Entnutzung setzten und kein Schlachtvieh mehr mit Soja zu füttern hätten, das für die hungernden Menschen nicht zur Verfügung steht.

Was können wir tun, um eine Entnutzung der Tiere tatsächlich zu erreichen?

Wir sind, wenn man heutigen Ernährungs- Empfehlungen folgt, nur einmal in der Woche Fleisch zu essen, bereits auf einem Entnutzungsweg. Auf dieses eine Fleischmahl kann auch noch verzichtet werden. Die Voraussetzung dabei ist das Bewusstsein, dass und inwiefern Entnutzung ethisch verbindlich ist. Zu dieser Einsicht versucht das Manifest des Veganen Humanismus zu führen.

Eine persönliche Frage: Wie kamen Sie dazu, sich mit der veganen Lebensweise auseinanderzusetzen?

Ich sehe im Rückblick mein Leben im Hinblick auf Ernährung als einen langen Weg des Lernens, der mich zu der ethisch zwingenden Konsequenz führte, dass die Tötung von Tieren, um sie zu verzehren, für uns Menschen auf keiner anderen Begründung als des Wohlgeschmacks beruht. Ich musste feststellen, dass der im 17. Jahrhundert von La Rochefoucauld formulierte Satz "Man verzichtet eher auf sein Interesse als auf seinen Geschmack" nicht nur gilt, sondern zur Grundlage unserer unverantwortlichen Ernährungsgewohnheiten wurde.

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