Implizit wissen Fleischesser:innen, dass Fleischkonsum falsch ist

Implizit wissen Fleischesser:innen, dass Fleischkonsum falsch ist

Markus Siebertza, Franziska Anna Schroterb, Christiane Portelec und Petra Jansend haben in einer aktuellen Studie untersucht, welche expliziten und impliziten Einstellungen Omnivoren (Mischkost mit Fleisch), Vegetarier:innen und Veganer:innen zu Fleisch und pflanzlicher Kost haben.

Die Autor:innen untersuchten in ihrer Studie zahlreiche weitere Faktoren, auf die ich im Weiteren nicht eingehe, sondern mich auf das aus veganer Sichtweise eigentlich interessante Ergebnis konzentriere:

  • Zwischen den impliziten und expliziten Einstellungen von Fleischesser:innen zu Fleisch und pflanzlichen Lebensmitteln besteht ein Widerspruch. Implizit bevorzugen Fleischesser:innen pflanzliche Produkte, explizit bevorzugen sie aber Fleisch.

Anders formuliert:

  • Die Studie zeigt, dass Fleischessern auf einer impliziten Ebene wissen, dass pflanzliche Kost besser ist als Fleisch. Werden Sie aber explizit befragt, geben sie das Gegenteil an.

Einzelheiten zu Erhebung und Ergebnissen

Gemäß eine Zwei-Prozess-Theorie der menschlichen Informationsverarbeitung greifen Menschen auf explizite, bewusste und direkt verbalisierbare Prozesse, sowie auf implizite Prozesse der Informationsverarbeitung zurück, die nicht bewusst und nicht verbalisierbar sind.

Im Bereich menschlicher Einstellungen werden explizite Einstellung durch die direkte Abfrage der eigenen Einschätzungen erhoben. Im vorliegenden Fall präsentierten die Autor:innen den Teilnehmenden Bilder von Fleisch und Pflanzengerichten, baten sie, explizit einzuschätzen, als wie positiv sie diese bewerten.

Für die implizite Bewertung wurde demgegenüber ein sogenanntes affektives Priming-Paradigma angewandt:

  • Es wurden die gleichen Bilder präsentiert und die Teilnehmenden musste dann instruktionsgemäß eine positive oder eine negative Bewertung durch Druck einer entsprechenden Taste auf der Computer-Tastatur angeben. Erfasst wurde, wie schnell die Personen nach Präsentation eines Bildes die aufgeforderte Bewertung gaben.

Die implizite Einstellung wird dabei als Reaktionszeit-Differenzen erfasst:

  • Drücken Teilnehmende bei Präsentation von Pflanzenkost schneller die positive Taste als bei Präsentation von Fleischgerichten, kann davon ausgegangen werden, dass sie Pflanzenkost als positiver bewerten. Durch das Bild wird demnach die Positiv-Bewertung für Pflanzenkost sofort im Gedächtnis aktiviert, sodass es den Teilnehmenden schneller möglich war, die Taste für die positive Bewertung zu drücken.

Explizite Bewertung

Die Ergebnisse zeigten sehr deutlich, dass Fleischesser:innen in ihren expliziten Einschätzungen Fleisch deutlich positiver bewerteten als Vegetarier:innen und Veganer:innen, die umgekehrt Pflanzenkost signifikant positiver bewerteten als Fleisch.

Dieses Ergebnis verwundert nicht, da die Fleischesser:innen damit im Wesentlichen eine von Menschen angestrebte Konsistenz zwischen ihren Verhaltensweisen (Fleisch essen) und ihren Einstellungen (positive Einstellung zu Fleisch) schildern.

Implizite Bewertung

Interessanter sind die Befunde zur impliziten Bewertung:

  • Im impliziten Maß verschwand der Unterschied zwischen Fleischesser:innen, Vegetarier:innen und Veganer:innen. Alle zeigten eine positivere implizite Einstellung zu der Pflanzenkost als zu Fleisch.

Psychologische Interpretation

Die Befunde weisen darauf hin, dass Fleischesser:innen und vegan oder vegetarisch lebende Personen über ein gemeinsames implizites Wissen verfügen, dass Pflanzenkost der Fleischkost vorzuziehen ist.

Bei den Fleischesser:innen spiegelt sich dieses implizite Wissen aber nicht in ihren expliziten Einstellungen wider, während bei den vegan und vegetarisch lebenden Personen eine Konsistenz zwischen impliziter und expliziter Einstellung vorliegt.

Wie lässt sich die Inkonsistenz zwischen impliziter Einstellung und expliziter Einstellung bei den Fleischesser:innen erklären?

Anzunehmen sind Prozesse der Ausblendung und Dissonanz-Reduktion, sodass das eigentlich durchaus vorhandene stille Wissen über die negativen Eigenschaften von Fleisch auf der Ebene der bewussten Bewertung unwirksam gemacht wird und daher auch nur begrenzt in die Verhaltenssteuerung eingreifen kann.

Grundsätzlich gilt nämlich, dass explizite Einstellungen typischerweise deutlich stärkere Zusammenhänge zum beobachtbaren Verhalten, welches diese Einstellungen direkt widerspiegelt, aufweisen als implizite Einstellungen.

Fleischesser:innen gaben in der Studie übrigens vorwiegend als Gründe für ihren Fleischkonsum den Geschmack an, Männer auch das Streben nach Muskelmasse. Die veganen und vegetarischen Teilnehmenden benannten demgegenüber stärker moralische und ökologische Gründe.

Fleischesser:innen schmeckt also das Fleisch und ihr Fleischkonsum ist eine fest etablierte Gewohnheit.

  • Dem positiven Geschmack und dem Gewohnheitscharakter entgegensteht jedoch ihr implizites Wissen, dass Pflanzenkost besser ist. Aufgrund der hohen Gewohnheitsstärke und dem positiven Geschmackserleben reagieren Fleischesser:innen nunmehr aber nicht mit einer Abschwächung ihres Fleischkonsums aufgrund ihres stillen Wissens, sondern setzen dem stillen Wissen Strategien der Leugnung und Ausblendung entgegen, sodass die Dissonanz zwischen ihrem Handeln und dem stillen Wissen durch positive explizite Einstellungen zum Fleischkonsum verdeckt wird.

Hierzu passen andere psychologische Befunde, dass Fleischesser:innen bei ihrem Konsum das Tier vom Teller ausblenden und das Fleisch als reine Produkt wahrnehmen, welches keinen Bezug mehr zu dem lebenden und für diesen Konsum getöteten Tier aufweist.

Im Ergebnis können Fleischesser:innen weiterhin Fleisch konsumieren, ohne ihr Verhalten als dissonant mit ihren Einstellungen zu erleben.

Strategien zur Verhaltensänderung

Wie kann Fleischesser:innen zu mehr Konsistenz verholfen werden?

Konsistenz würde entstehen, wenn Fleischesser:innen ihrem stillen Wissen folgen und ihre expliziten Einstellungen und Verhaltensweisen an diesem stillen Wissen orientieren. Hintergrund ist, dass in diesem Fall das stille Wissen die Realität widerspiegelt, während die expliziten Einstellungen auf eine Ausblendung und Verzerrung der Realität beruhen.

Hilfreich hierfür können sein:

  • das Unterbrechen der Gewohnheitsstärke durch Bereitstellung alternativer Gerichte, die für die Fleischesser:innen ebenfalls mit positiven geschmacklichen Erlebnissen verbunden sind.
  • Wichtig ist dabei auch bereits das gute Aussehen von pflanzlichen Ersatzprodukten. So zeigte eine Studie neulich, dass bei Fleisch essenden Teilnehmenden eine umso stärkere Präferenz für pflanzliche versus tierbasierte Produkte erzeugt werden konnte, desto ansprechender pflanzlicher Fleischersatz präsentiert wurde.

Durch die Vermittlung positiver Erfahrungen mit veganen Gerichten könnte eine Bereitschaft entstehen, das stille Wissen über die Vorzüge pflanzlicher Kost auch in die expliziten Einstellungen und Verhaltensweisen einzubinden.

Ebenso wichtig ist es, auf der Ebene bewusster Überzeugung die positiven expliziten Einstellungen von Fleischesser:innen zu Fleisch durch überzeugende Gegenargumente zu kontern und gleichzeitig tragfähige Argumente für die positiven Eigenschaften von Pflanzenkost vorzubringen.

Die Kombination aus direkten positiven Erfahrungen mit Pflanzenkost und der Bereitstellung wirksamer expliziter Argumente für Pflanzenkost und gegen Fleischkonsum dürfte am ehesten wirksam sein, um:

  • positive explizite Einstellungen zu Pflanzenkost aufzubauen
  • die Prozesse der Ausblendung und Verleugnung zu beenden, die den Fleischkonsum schönreden
  • dadurch einen Wechsel zu einer pflanzenbasierten, veganen Ernährung zu erreichen.

Wichtig ist es hierfür nach einer Studie zu Reduktion von Rindfleisch-Konsum das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten der Fleischesser:innen zur Verhaltensänderung zu stärken, Fleischverzicht mit positiven Gefühlen und Bewertungen zu verbinden, den Nutzen der pflanzenbasierten Ernährung bewusst zu machen und die karnistische Identität als Fleischesser:in so aufzubrechen.

Auf jeden Fall ist das sich in dieser Studie offenbarende implizite Wissen von Fleischesser:innen über die Vorzüge von Pflanzenkost ein Hoffnungsschimmer, an den auf dem Weg zu einer Einstellungs- und Verhaltensänderung angeknüpft werden kann.

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