Rechtsruck und Veganismus: Die Notwendigkeit eines ethisch und politisch konsistenten Widerstands

Ein veganer Hilferuf in Zeiten der Stagnation
Soeben hat Sheila Ananda Dierks einen nach eigener Aussage Hilferuf verfasst. Unter dem Motto Schluss mit Veganismus lautet der Titel: So viele rückfällige Fleischesser.
In meinem heutigen Artikel zeige ich auf, dass die vegane Community das Thema kennen und unbedingt ernst nehmen sollte. Denn aktuell befinden wir uns nicht mehr im Aufschwung, sondern in der Stagnation – dies zeigen auch konkrete Zahlen:
- Nach der Nationalen Verzehrsstudie II (2008) gab es in Deutschland lediglich 0,1 % Veganer:innen. Dieser prozentuale Anteil stieg laut den BMEL-Ernährungsberichten 2020/2021 auf rund 2 % an – ein Wert, der sich seitdem auf ähnlichem Niveau hält, wie auch der Ernährungsreport 2023 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bestätigt.
Veganismus und Rechtsruck
Derweil geschieht aktuell noch etwas deutlich Dramatischeres, das am Veganismus nicht vorbeigehen wird:
- Wir befinden uns in einem weltweit in immer mehr Ländern und Regionen zu beobachtenden Rechtsruck, der auch mit expliziter, für jeden sichtbarer und zunehmend sogar offen gerechtfertigter Wiederkehr schlimmster Brutalität gegenüber Menschen einhergeht. Schauen wir nach Gaza, in den Sudan, in die Ukraine oder schauen wir uns die Foltergefängnisse an, die die US-Regierung derzeit in El Salvador für Immigrant:innen und Geflüchtete betreiben lässt. Diese Liste ließe sich nahezu unbegrenzt fortsetzen.
Dieser Rechtsruck mit seinen bereits jetzt fatalen Konsequenzen für Menschen wird an der veganen Bewegung und der gesellschaftlichen Haltung gegenüber Tieren nicht spurlos vorübergehen. Genau dies sehen übrigens auch die meisten Veganer:innen sehr deutlich:
- Mehr als 85 % der mehr als 600 Teilnehmenden der fortlaufenden großen Vegan-Umfrage 2025 ( um Beteiligung wird gebeten: ▶ Hier zur Umfrage ) bejahen die Aussage, dass wir uns in einem Rechtsruck befinden. Mehr als 64 % gehen zudem davon aus, dass die vegane Bewegung durch diesen Rechtsruck zurückgeworfen werden wird, wobei als 78 % die Aussage bejahen "Veganer:innen müssen Widerstand gegen diese gesellschaftliche Entwicklung leisten".
Dieser Artikel greift diese mehrheitlichen Ansichten auf und argumentiert, dass die vegane Community im Rahmen ihrer Möglichkeiten der weltweiten Brutalisierung entgegenwirken muss, wozu auch gehört, die vegane Sache am Leben erhalten und sie so bald wie möglich wieder zu einem neuen Aufschwung führen können. Veganer:innen sind seit jeher nur ein kleiner Anteil der Bevölkerung, der jedoch aufgrund seiner Positionierung und Sichtbarkeit einen größeren gesellschaftlichen Einfluss ausübt, als allein aufgrund seines geringen Anteils an der Gesamtbevölkerung zu erwarten wäre. Es geht darum, diesen Einfluss aufrechtzuerhalten, die vegane Bewegung in Zeiten des Rückschlages zu konsolidieren und sich dabei mit den Kräften zu verbünden, die sich anderen Aspekten der gesellschaftlichen Brutalisierung entgegenstelle.
Übrigens werden wir nach Abschluss unserer Umfrage (wir streben 1000 Teilnehmende an) eine große Zahl an Daten und Zahlen zur politisch-gesellschaftlichen Verankerung der veganen Community zur Verfügung stellen. Dies soll dazu beitragen, dass wir als Veganer:innen gemeinsam Klarheit über die aktuelle Situation gewinnen und die richtige Antwort unserer Community auf die gegenwärtigen Entwicklungen finden.
Wandel im Alltag: Rückfälle im persönlichen Umfeld
Nun aber zunächst zurück zum Artikel im Spiegel:
Sheila Ananda Dierks beschreibt in ihrem Artikel im Spiegel einen persönlichen Hilferuf angesichts eines wahrgenommenen gesellschaftlichen Rückschritts in Entwicklung des Veganismus. Sie stellt fest, dass immer mehr Menschen aus ihrem Umfeld, die zuvor vegan oder vegetarisch lebten, wieder Fleisch konsumieren. Auch auf Social Media beobachtet sie eine Zunahme offen präsentierter Tierprodukte, etwa Bratwürste, Austern oder Salamischeiben. Dierks, die seit ihrem 16. Lebensjahr vegan lebt und noch nie Fleisch gegessen hat, nimmt diese Entwicklung als Bruch mit früheren Idealen ihrer Generation wahr.
Sie erinnert sich an eine Zeit, in der pflanzliche Produkte boomten, vegane Bäckereien eröffneten und der Fleischkonsum zurückging. In ihrem Umfeld war veganer Lebensstil selbstverständlich geworden, etwa bei gemeinsamen Brunchs mit Tomatenmett und Tofu-Rührei. Mittlerweile aber zeigten Zahlen des Statistischen Bundesamts, dass besonders jüngere Menschen wieder mehr Fleisch konsumieren.
Als zentrales Symbol für diese Kehrtwende sieht sie die Ernennung von Alois Rainer, Metzgermeister und CSU-Politiker, zum Bundeslandwirtschaftsminister. In diesem Zusammenhang zitiert sie Markus Söder mit den Worten: „Jetzt gibt’s wieder Leberkäs’ statt Tofu-Tümelei.“ Dierks weist darauf hin, dass Rainer tatsächlich mit der Herstellung der längsten Weißwurst der Welt bekannt wurde und dass die Fleischproduktion in Deutschland im Jahr 2024 erstmals seit Jahren wieder anstieg.
Besonders alarmierend ist für sie das weitgehende Ausbleiben von Protest. Sie betont: „Das Bild der aufgeklärten Klimaschützer:innen bröckelt.“ Obwohl viele junge Menschen die ökologischen und ethischen Argumente gegen Fleischkonsum kennen, entscheiden sie sich aus ihrer Sicht zunehmend aus Gründen des Genusses wieder für Fleisch. Sie sieht darin ein Zeichen für den Verlust des politischen Idealismus, der ihre Generation lange geprägt habe.
Dierks nennt Zukunftsangst, familiäre Spannungen und die gesellschaftliche Trägheit als Faktoren, die junge Menschen demotivieren. Die moralische Kraft, durch Konsumentscheidungen etwas zu bewirken, sei geschwunden. Sie kritisiert, dass ältere Generationen es versäumt hätten, Verständnis und Unterstützung zu zeigen.
Sie schließt mit einem Appell, den einst vorhandenen Idealismus nicht aufzugeben und sich nicht vom Rückschritt entmutigen zu lassen. Stattdessen ruft sie dazu auf, wieder an veganen Überzeugungen festzuhalten – und „fester an die ‚Tofu-Tümelei‘“ zu klammern.
Fleischkonsum, politische Ideologie und soziale Dominanz
Es gibt noch keine genauen Zahlen, die die von Dierks vermutete negative Trendwende eindeutig bestätigen würden. Aber neben der Stagnation des Veganismus gibt es als alarmierendes Signal einen weiteren Befund:
- Im Jahr 2024 hat die Fleischproduktion in Deutschland erstmals seit Jahren wieder zugenommen – um rund 1,4 %. Zwar liegen die Produktionszahlen mit 6,9 Millionen Tonnen noch deutlich hinter dem historischen Höchststand von 8,4 Millionen Tonnen im Jahr 2016. Doch von einer kontinuierlichen Fortsetzung eines Abwärtstrends kann keine Rede mehr sein. Der Anstieg gegenüber dem Vorjahr markiert die Möglichkeit einer Trendwende, die aus veganer Perspektive wie auch im Hinblick auf Klima- und Umweltschutz Anlass zu äußerster Sorge gibt.
Gleichzeitig gibt die global erkennbare Rechtswende Grund genug, sich auf Schlimmeres vorzubereiten:
- Eine große Anzahl an Untersuchungen zeigt, dass Fleischkonsum verbunden ist mit rechtskonservativem Denken, sozialer Dominanzorientierung, toxischer Männlichkeit und mit Vorurteilen gegenüber einer Vielzahl von Minderheitengruppen wie LGBTQ+ oder Migrant:innen. All diese Vorurteilen sind wiederum ebenso mit Vorurteilen gegenüber dem Veganismus assoziiert. Es ist ein sich wechselseitig verstärkender Teufelskreis der Vorurteile und alle von solchen Vorurteilen Betroffene werden dies zu spüren bekommen.
So zeigte bereits eine Studie von Dhont & Hodson, dass rechtsgerichtete Ideologien (soziale Dominanzorientierung, rechtsgerichteter Autoritarismus) sowohl mit einer stärkeren Akzeptanz von Tierausbeutung als auch mit höherem Fleischkonsum zusammenhingen. Erklärt werden konnten diese Zusammenhänge durch einen stärkeren Glauben an die Überlegenheit des Menschen sowie durch die Wahrnehmung einer Bedrohung der eigenen Ideologie durch tierrechtsbezogene Haltungen.Menschen mit hoher Ausprägung an Right-Wing Authoritarianism (RWA) und Social Dominance Orientation (SDO) essen demnach häufiger Fleisch nicht aus bloßem Genuss, sondern weil sie darin symbolisch gesellschaftliche Hierarchien bestätigt sehen.
Dies deckt sich mit Befunden von Veser, Taylor & Singer, die in einer Stichprobe mit omnivor, vegetarisch und vegan lebenden Personen beobachteten, dass omnivore Personen häufiger Vorurteile gegenüber Minderheiten äußerten, eine stärkere soziale Dominanzorientierung aufwiesen und autoritärer dachten. Diese Effekte waren bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen.
Ähnliches zeigte sich in einer Studie von Hoffarth et al.: Konservatismus ging mit stärkerer Zustimmung zu Speziesismus (der Überzeugung, dass Menschen moralisch über nicht-menschliche Tiere stehen) und geringerer Unterstützung für Tierschutz einher, wobei diese Zusammenhänge wiederum teilweise durch konservative Tendenzen zur Rechtfertigung des ökonomischen Systems erklärt werden konnten.
Vor dem Hintergrund dieser Befunde ist es wiederum nachvollziehbar, dass Nezlek et al. beobachteten, dass Omnivore – im Vergleich zu Vegetarier:innen und Semi-Vegetarier:innen – signifikant stärker konservative Politiken unterstützten, liberale Politiken seltener befürworteten, sich eher mit der Republikanischen Partei identifizierten. Sie billigten zudem die Amtsführung von Trump häufiger und hatten mit höherer Wahrscheinlichkeit für Trump gestimmt.
Eine neuropsychologische Studie mithilfe funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) von Filippi et al. liefert Hinweise darauf, dass sich Unterschiede zwischen Omnivoren, Vegetarier:innen und Veganer:innen durch ein unterschiedliches Ausmaß an Empathie für Menschen und Tiere in Leidsituationen erklären lassen könnten:
- Interessanterweise zeigten Omnivore sowohl beim Anblick leidender Menschen als auch leidender Tiere eine geringere emotionale Aktivierung als Vegetarier:innen und Veganer:innen. Dies könnte wiederum eine Teil-Erklärung für den negativen Zusammenhang zwischen rechtsgerichteter Ideologie und Veganismus liefern. Rechtsgerichtete Ideologie steht typischerweise für harte Maßnahmen gegenüber Menschen und Tieren, was mit der in dieser Studie beobachteten geringeren Empathie von Omnivoren gegenüber leidenden Lebewesen vereinbar erscheint.
Übrigens werden Menschen mit pflanzenbasierten Lebensweisen und besonders vegan lebende Personen auch selbst schnell zur Zielscheibe von Vorurteilen und negativen Bewertungen durch Personen mit rechtsgerichteten Denkweisen:
- MacInnis & Hodson zeigten, ass Omnivore allgemein Vegetarier:innen und Veganer:innen häufig negativer bewerteten als andere gesellschaftliche Gruppen – selbst im Vergleich zu klassischen Zielgruppen von Vorurteilen. Besonders ausgeprägt war diese Ablehnung aber bei Personen mit rechtsgerichteten Ideologien, was erneut durch eine wahrgenommene Bedrohung durch vegetarische und vegane Lebensstile erklärt werden konnte. Veganer:innen sowie männliche Vegetarier:innen und Veganer:innen wurden dabei – im Sinne einer toxisch männlichen Ideologie – negativer eingeschätzt als weibliche und vegetarisch lebende Personen. Konsistent mit diesen Befunden berichteten Vegetarier:innen und insbesondere Veganer:innen selbst von häufigen negativen Reaktionen auf ihre Lebensweise, vor allem dann, wenn diese ethisch begründet war.
Die stärkeren Abwertungen der vegetarischen und vor allem der veganen Lebensweise durch Fleischesser:innen mit rechtsgerichteter Ideologie machen dabei wiederum deutlich, dass Veganismus und rechtsgerichtetes Denken empirisch entgegengesetzt sind.
Ebenfalls aufschlussreich ist die Studie von Hodson & Earle, die zeigt, dass konservative Menschen seltener in der Lage sind, eine vegane oder vegetarische Ernährung langfristig beizubehalten. Dies liegt nicht an Geschmack oder Bequemlichkeit, sondern an einer geringeren sozialen Gerechtigkeitsorientierung und schwächerer sozialer Unterstützung. Fleischverzicht, so legt die Forschung nahe, wird in konservativen Milieus nicht nur seltener umgesetzt, sondern auch schneller wieder aufgegeben.
Diese empirischen Befunde liefern Unterstützung für die Analyse von David Naguib Pellow, der in seinem Buch Total Liberation: The Power and Promise of Animal Rights and the Radical Earth Movement (Totale Befreiung: Die Kraft und das Versprechen der Tierrechte und der radikalen Umweltbewegung) über radikale Tierrechte- und Umweltbewegungen den Veganismus als zentrales Element einer „Total Liberation“-Ethik einordnet, die antirassistische, antikapitalistische und antispeziesistische Befreiungsansätze miteinander verbindet. In dieser Perspektive ist veganer Aktivismus integraler Bestandteil radikaldemokratischer und herrschaftskritischer Lebenspraxis.
Zusammengefasst ergibt sich ein klarer empirischer Zusammenhang:
- Fleischkonsum korreliert signifikant mit autoritären, konservativ-marktorientierten und vorurteilstragenden Überzeugungen. Veganismus hingegen steht in enger Verbindung mit egalitären, emanzipatorischen und links-progressiven Werten – und entfaltet sein kritisches Potenzial besonders dort, wo gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse in Frage gestellt werden.
Diese Zusammenhänge zwischen Fleischkonsum, Veganismus und politischen Grundeinstellungen können wir in der aktuellen Rechtswende plastisch vor unseren Augen sehen. Schauen wir uns als ein Beispiel Donald Trump und die Republikaner:innen in den USA an.
Fleisch, Donald Trump und die Republikaner:innen
Bereits in der ersten Präsidentschaft Trumps wurde Fleischkonsum nicht nur normalisiert, sondern aktiv politisiert und aufgeladen. Fleisch diente als Symbol für Freiheit, Männlichkeit und nationale Identität – und als bewusste Abgrenzung zur Klimapolitik und zur veganen Bewegung. Im Jahr 2019 bewirtete Trump ein Football-Team im Weißen Haus ausschließlich mit Fast Food – Burger, Pommes, Nuggets –, aufgetürmt auf Silberplattene. Das Essen wurde als dabei als bewusster Gegenentwurf zu gesundheitsbewussten und angeblich elitären Speiseplänen inszeniert.
Als im Jahr 2021 der Green New Deal diskutiert wurde, erfanden republikanische Kommentator:innen die Legende, die Demokraten wollten Amerikanern das Fleisch verbieten. So behauptete Trumps Ex-Berater Sebastian Gorka: „They want to take away your hamburgers“ – das habe Stalin nicht einmal geschafft, nachzulesen bei Eater. Offensichtlich ausgelöst durch eine einzige Bemerkung der auf dem linken Flügel der demokratischen Partei eingeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, wurde selbst Fleischreduktion als Ausdruck eines angeblichen Sozialismus angesehen.
Republikanische Abgeordnete posierten daraufhin öffentlich mit Burgern, um sich gegen die vermeintliche vegane Zwangspolitik zu stellen, wobei Donald Trump Jr. nach der Washington Post sogleich auf Twitter mitteilen ließ: Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich gestern vier Pfund rotes Fleisch gegessen habe. So entwickelte sich eine regelrechte Desinformationskampagne, an der sich zahlreiche rechtsgerichtete Politiker:innen beteiligten. „Stay out of my kitchen“, twitterte etwanach dem gleichen Bericht der Washington Post Lauren Boebert, während Fox-Kommentatoren eine Zukunft ohne Burger an die Wand malten.
Als in Colorado ein freiwilliger MeatOut Day ausgerufen wurde, reagierte Nebraskas republikanischer Gouverneur Pete Ricketts mit einem Gegentag: Meat on the Menu Day, öffentlich inszeniert mit Fleischlobbyisten. Ricketts erklärte: Das ist ein direkter Angriff auf unsere Lebensweise – dokumentiert durch Associated Press.
Parallel dazu werden aktuell unter Trump konkrete Schutzgesetze für Tiere und Umwelt systematisch zurückgenommen. So hob sein Innenministerium Schutzmaßnahmen für bedrohte Arten auf, öffnete Naturschutzgebiete für Öl- und Gasbohrungen und schwächte den Endangered Species Act, wie The Guardian 2025 berichtete.
In Deutschland ein ähnliches Bild
Es handelt sich hierbei um keine US-amerikanische Anomalie. Der Blick auf Deutschland gelangt zu ganz ähnlichen Erkenntnissen bezüglich Äußerungen und Handlungsweisen rechter Politik.
In Deutschland erklärte Markus Söder bei der Ernennung des CSU-Politikers Alois Rainer zum Landwirtschaftsminister 2025: Jetzt gibt’s wieder Leberkäs’ statt Tofu-Tümelei. Rainer ist Metzgermeister und bekannt durch die Herstellung der längsten Weißwurst der Welt. Er sprach sich ausdrücklich gegen vegetarische Tage in Kitas und gegen eine Fleischsteuer aus. Die Tagesschau fasste seine Position so zusammen: Fleischpreise macht nicht der Minister, sondern der Markt“ – ein deutliches Bekenntnis zur Marktlogik. Anzumerken ist dabei, dass der gleiche Minister keineswegs die Milliarden-Investitionen für die landwirtschaftliche Tiernutzung streichen möchte.
Die AfD erklärt ihre Feindschaft gegenüber der veganen Lebensweise noch deutlicher:
2023 brachte die Bundestagsfraktion der AfD einen Antrag ein, in dem gefordert wurde, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung solle nachdrücklich vor den Gefahren veganer Ernährung warnen – insbesondere für Schwangere, Stillende, Kinder und Jugendliche. Der Antrag unterstellt, vegane Ernährung sei gesundheitsgefährdend und gefährde das Kindeswohl – nachzulesen in der offiziellen Parlamentsmeldung des Deutschen Bundestags.
AfD-Politikerin Alice Weidel stilisierte den Schnitzelkonsum zum Symbol politischer Selbstbehauptung gegen die Grünen: Niemand geht an mein Schnitzel, sagte sie auf dem Gillamoos-Volksfest 2023 – dokumentiert von der taz. In diesem Zusammenhang warf sie der Politik vor, den Menschen Schweinshaxe und Bratwurst wegnehmen zu wollen.
Veganismus wird so ebenso aus konservativer wie aus rechtspopulistischer und rechtsradikaler Sichtweise zum Feindbild und als Symbol einer bevormundenden linken Politik dargestellt.
Tierverachtung bei Einzelpersonen
Die wissenschaftlich gesicherte Assoziation zwischen Fleischkonsum, Empathiemangel gegenüber Tieren und konservativen sowie rechtsgerichteten politischen Einstellungen lässt sich im Übrigen auch anhand von Einzelfällen konservativ oder rechtspopulistisch ausgerichteter Politiker:innen plastisch darstellen:
- Beginnen wir mit der Familie Trump: Donald Trump Jr. und Eric Trump machten international Schlagzeilen mit Trophäenjagden in Afrika und in der Mongolei. Auf Fotos posieren sie mit toten Leoparden, Krokodilen und einem Elefanten, dessen Schwanz abgeschnitten wurde. Diese Taten sind konkrete Beispiele für persönliche Gewalthandlungen gegenüber Tieren und wurden von Tierschutzorganisationen als brutal und skrupellos kritisiert.
- Einen besonders drastischen Fall persönlicher Gewalt lieferte Kristi Noem, damalige Gouverneurin von South Dakota und enge Trump-Verbündete. In ihrem Buch schildert sie, wie sie ihre junge Hündin „Cricket“ erschoss, nachdem diese Hühner gerissen hatte. Am selben Tag tötete sie zudem eine Ziege, ebenfalls eigenhändig. Noem ist heute Ministerin für Innere Sicherheit in der Trump-Regierung und war aktiv beteiligt an der öffentlichen Unterstützung der Massenabschiebungen venezolanischer Geflüchteter, die derzeit in das berüchtigte Gefängnis CECOT in El Salvador gebracht werden. Dort ließ sich Noem demonstrativ mit inhaftierten Männern ablichten, denen jeglicher Zugang zu Angehörigen, Anwälten oder medizinischer Versorgung verwehrt wird.
- Jim Inhofe veranstaltete als republikanischer Senator eine Spendengala, bei der Hunderte zahme Tauben in Käfigen freigelassen und sofort erschossen wurden. Die Bilder aus einem Undercover-Video zeigen ein Schießfest ohne jeden praktischen Zweck – Tierquälerei zur Unterhaltung.
- Greg Gianforte, Gouverneur von Montana und enger Trump-Vertrauter, tötete 2021 illegal einen Wolf, der aus dem Yellowstone-Nationalpark ausgewandert war. Er hatte keinen gültigen Jagdschein und benutzte eine Falle – eine besonders brutale Methode. Obwohl er nur eine Verwarnung erhielt, kritisierten Tierschutzgruppen sein Verhalten als Beispiel für gewaltsames, verantwortungsloses Handeln.
- Im Dezember 2003 nahm der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney an einer Fasanenjagd im exklusiven Rolling Rock Club in Pennsylvania teil. Dabei handelte es sich um eine sogenannte Gatterjagd. Bis zu 500 Fasane, gezüchtet in Volieren und an Menschen gewöhnt, wurden eigens für dieses Ereignis freigelassen. Eine zehnköpfige Jagdgruppe, zu der auch Cheney gehörte, wartete bereits auf die Tiere. Innerhalb kürzester Zeit wurden 417 der freigelassenen Fasane erschossen. Dick Cheney selbst soll mehr als 70 Tiere getötet haben. Die Vögel hatten keine Möglichkeit zur Flucht und wurden unmittelbar nach dem Aussetzen gezielt abgeschossen. Tierschutzorganisationen verurteilten das Vorgehen scharf. Kritiker sprachen von einem blutigen Spektakel ohne jede Legitimität. Der Vorgang wurde als Beispiel für die planmäßige Tötung wehrloser Tiere zur Unterhaltung einflussreicher Personen bewertet. Der Begriff „canned hunt“ verweist auf die systematische Vernichtung in kontrollierter Umgebung. Tiere werden hier ausschließlich zum Zweck ihrer Tötung gezüchtet und eingesetzt. Die Abläufe sind vollständig auf maximale Abschusszahlen ausgerichtet. Die Teilnahme eines hochrangigen Regierungsvertreters verlieh dem Vorgang internationale Aufmerksamkeit.
- In Ungarn sorgte Zsolt Semjén für Empörung, als bekannt wurde, dass er auf Luxusjagdreisen zahme Rentiere erschoss – ohne Genehmigung des Besitzers. Die Tiere gehörten der indigenen Sami-Bevölkerung. Der Vizepremier und Parteifreund Viktor Orbáns ignorierte sämtliche Kritik.
- Der spanische Ex-König Juan Carlos I., damals Ehrenpräsident des WWF Spanien, geriet 2012 international in die Kritik, als bekannt wurde, dass er während der spanischen Wirtschaftskrise auf Elefantenjagd in Botswana war. Das Foto eines toten Elefanten neben ihm sorgte für massive Proteste. Politisch war Juan Carlos seit jeher konservativ verortet – er wurde von Diktator Franco zum König bestimmt und gilt als Symbolfigur eines restaurativen Monarchismus.
Neben diesen persönlichen Gewalttaten existieren auch politische Maßnahmen mit besonders hoher Grausamkeit – wie im Fall von Sarah Palin in Alaska. Als Gouverneurin setzte sie auf „Predator Control“:
- Wölfe und Bären wurden systematisch aus Helikoptern abgeschossen, um Wildbestände für Jäger zu erhöhen. Palins Verwaltung lobte sogar Prämien für getötete Wölfe aus – 150 Dollar pro Tier, bei Abgabe der linken Vorderpfote. Obwohl diese Maßnahmen politisch begründet wurden, sind sie Ausdruck eines besonders gewaltförmigen Umgangs mit Wildtieren.
Auch in Deutschland gibt es aktuell einen prominenten Fall, der sich zudem medial als Opfer gerierte:
- Der CSU-nahe Landwirt Günther Felßner zog seine Bewerbung für das Amt des bayerischen Landwirtschaftsministers zurück, nachdem Tierschützer Videoaufnahmen veröffentlicht hatten, die Tierleid in seinen Ställen nahelegten.
Politisch unvergessen sind derweil die Handlungen von Julia Klöckner, CDU, die als Landwirtschaftsministerin unter anderem eine Verordnung plante, die tierschutzwidrige Kastenstände über Jahre weiter zulassen sollte. Sie verteidigte systemische Tierausbeutung mehrfach politisch – immer im Einklang mit Interessen der Fleischindustrie.
Aber auch das rücksichtslose Verhalten eines FPÖ-Lokalpolitikers aus Österreich passt in dies Muster. Der Betreffende wurde angeklagt, weil er mehrere Rehkitze bei Mäharbeiten tötete, nachdem er Hinweise zur Wildrettung ignoriert hatte. Zwei Tiere verendeten auf seinem Kompost.
Diese Beispiele sind in sich kein Beleg für die allgemeine Assoziation zwischen rechtsgerichtetem Denken und antiveganen Haltungen und Handlungsweisen. Das Heraussuchen von Einzelpersonen soll in diesem Fall nur zur Verdeutlichung eines allgemein wissenschaftlich belegten Musters dienen, die die Nähe zwischen Fleischkonsum, Tierausbeutung und konservativen, rechtsgerichteten Positionen hinreichend gesichert aufzeigt.
Dennoch sind die Einzelbeispiele instruktiv und aussagekräftig, zumal sie anhand der benannten Personen vor Augen führen, in welchem Ausmaß sich viele dieser Personen, die für ihre Positionen gegen Menschenrechte und Mitmenschlichkeit bekannt sind, ebenso offen und konkret gegen Tiere wenden.
Die Verknüpfung zwischen rechtskonservativer, marktwirtschaftlich orientierter Politik und aggressiver Abwehr veganer, tier- und umweltschützender Entwicklungen ist keine Einzelerscheinung, sondern strukturell. Sie reicht von Fleischverherrlichung bis zur Rücknahme von Tier- und Umweltschutz – und zielt auf die radikale Durchsetzung einer auf sozialer Dominanz, Autoritäten und Maßnahmen der Härte gegen Menschen und Tiere ausgerichteten Politik.
Die Verknüpfung zwischen rechtskonservativer, marktwirtschaftlich orientierter Politik und aggressiver Abwehr veganer, tier- und umweltschützender Entwicklungen ist keine Einzelerscheinung, sondern strukturell. Sie reicht von Fleischverherrlichung bis zur Rücknahme von Tier- und Umweltschutz.
Wenn Reformismus Unrecht stabilisiert
Wir können es jedoch nicht in den USA bei Trump oder den US-Republikaner:innen, in Deutschland bei CDU/CSU, FDP oder AfD oder allgemein bei konservativen, neoliberalen, rechtspopulistischen oder rechtsradikalen Parteien belassen, wenn wir die aktuelle Rechtswende und ihre Auswirkungen auf den Veganismus verstehen wollen.
Vielmehr müssen wir uns hierzu auch diejenigen anschauen, die der Rechtswende keinen ausreichenden Widerstand entgegensetzten oder die gar im Rahmen eigenen auf Reform orientierten Handelns das Klima für die Rechtswende mit bereitet haben.
Wieso dies hier thematisiert wird?
Der Grund ist, dass es von zentraler Bedeutsamkeit für die Strategien ist, die die vegane Community ergreifen kann, um die vegane Sache – die eine Einheit von Menschenrechten und Tierrechten bedeudet – voranzubringen.
Grundsätzlich stehen sich wohl seit jeher vereinfacht gesprochen zwei Linien gegenüber, wenn es um die Beseitigung von gesellschaftlichen Unrecht geht:
- Vertreter:innen von „Reform durch Regierungsbeteiligung“ setzen auf die die schrittweise Veränderung des gesellschaftlichen Unrechtes und wollen sich dazu in die gesellschaftlichen Machtstrukturen einbringen, da es ohne Macht, die sie oft mit Regierungsverantwortung gleichsetzen, keine Hoffnung auf Veränderung gebe. Dafür müssten auch Umwege gegangen und auf Maximalforderungen verzichtet werden.
- Vertreter:innen von „Veränderung durch Opposition“ betonen gegenüber, dass das Unrecht erst beseitigt werden könne, wenn echte Veränderungen der das Unrecht erzeugenden gesellschaftlichen Ordnung möglich seien. Bevor diese Möglichkeit bestehe, führe Regierungsbeteiligung zu Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse und zur Erosion der angestrebten Ziele. Stattdessen setzen Vertreter:innen dieses Konzepts auf Veränderung durch wachsenden Druck einer konsistent auftretenden und wachsenden Minderheit – bis zu dem Zeitpunkt, wo tatsächliche Veränderungen in einer Regierung möglich sind.
Welcher Weg führt aber am Beispiel des Veganismus am ehesten zum Ziel?
Oder anders gefragt
Wann ist es für den Weg der Reform in den Institutionen noch zu früh, wann aber der richtige Zeitpunkt gekommen sein?
Lernen kann die vegane Bewegung hier am Beispiel allgemeinerer reformerischer Bestrebungen, die den Weg über Regierungsverantwortung angetreten haben. Wohin hat ihr Wirken geführt?
Geradezu ein Paradebeispiel, was zur Beantwortung dieser Fragen herangezogen werden kann, sind in Deutschland die Grünen, die fraglos angetreten waren, um eine ökologischere, sozialere und sogar tierfreundlichere Welt zu schaffen.
Seither waren die Grünen ab mehreren Bundesregierungen und zahlreichen Landesregierungen beteiligt. Wie aber steht es um Ökologie, soziale Gerechtigkeit und Tierschutz? Was haben ihre jahrzehntelangen Bemühungen gebracht? Was sagt uns die aktuelle Rechtswende darüber aus, ob sie nachhaltige, also dem Lauf der Zeit standhaltende Verbesserungen bewirken konnten?
Eine realitätsgerecht Analyse wird zu dem Schluss kommen, dass es ihnen tatsächlich in keinem Bereich gelungen ist, Strukturen zu schaffen, die sich der zunehmenden Zerstörung unserer Umwelt, den Menschenrechtsverletzungen sowie der unvorstellbaren Gewalt und Brutalität gegenüber Tieren nachhaltig entgegenstellen würden. Und die aktuelle Rechtswende macht in aller Klarheit deutlich, dass tatsächlich die jahrzehntelangen Reformbemühungen keine Richtungsumkehr bewirkten.
Der Versuch, eine humanere, ökologischere und tiergerechtere Welt über Regierungsbeteiligungen zu Zeitpunkten zu erreichen, wo grundlegende Änderungen nicht erreichbar waren, ist gescheitert. Es ist sogar noch dramatischer:
- Mit den Regierungsbeteiligungen wurde die Opposition beendet und der Widerstand gegen Unrechtsstrukturen aufgegeben. Die hunderttausenden, die einstmals gegen Atomraketen und Waldsterben demonstrierten, wurden integriert und die Struktur, die sie zuvor bekämpften, dadurch stabilisiert.
Das Sinnbild für den Wechsel von Widerstand zu Reform war in Deutschland (und anderswo) der Marsch der Student:innen durch die Institutionen. Nicht mehr durch Widerstand, sondern durch Reform sollten so die Unrechtsstrukturen aufgelöst werden.
Im Ergebnis veränderten jedoch nicht die Menschen die Institutionen, sondern die Institutionen veränderten die beteiligten Menschen.
Was war geschehen?
Der psychologische Hintergrund ist der Folgende:
- Menschen können in gewaltförmigen Institutionen nur bestehen und erfolgreich sein können, wenn sie fortwährend so handeln, wie es der Unrechtscharakter der jeweiligen Institution verlangt.
- Treten Menschen mit einer reformorientierten Einstellung in solche Institutionen ein, bedeutet dies für sie Tag für Tag eine innere Dissonanz, die psychisch belastend ist, als aversiv erlebt wird.
- Reduzieren lässt sich solche Dissonanz nur, indem wir entweder unser Handeln oder unser Denken ändern.
- Da die Institutionen eine Änderung des Handelns kaum zulassen, greifen wir letztlich auf eine Veränderung unseres Denkens zurück – und beginnen nun genau das zu rechtfertigen, was wir ursprünglich abgelehnt haben, an dem wir uns nun aber auf täglicher Basis beteiligen.
Bei den Grünen führte dies bezüglich des Einsatzes für eine Gesellschaft ohne Tierausbeutung dazu, dass selbst ein einziger fleischfreier Tag pro Woche in staatlichen Einrichtungen mittlerweile als unzumutbarer Radikalismus erlebt wird und die vegane Lebensweise im praktischen Handeln der Grünen wie auch in ihrer Programmatik faktisch keine Rolle spielt. War früher bei den Grünen wenigstens Vegetarismus Standard, wird heute von den grünen Parlamentsabgeordneten mehrheitlich Fleisch gegessen.
Sicherlich war der Einsatz für Vegetarismus oder gar Veganismus und Tierrechte niemals ein echtes Kernthema bei den Grünen. Aber auch bei einem ihrer früheren Kernthemen lässt sich prägnant aufzeigen, wie die Beteiligung an Regierungen nicht nur zu einer kompletten Erosion, sondern sogar zu einer glatten Verkehrung ihrer früheren Ideale und Positionierung führten.
Lehrbeispiel: Wie Regierungsbeteiligung die Grünen zur Aufgabe des Schutzes Geflüchteter brachte
Die Erosion und Umkehrung der ursprünglichen Ideale bei diesem Thema ist innerhalb des Regierungshandelns der grünen Partei so dramatisch, dass die vegane Bewegung sich dies zur Warnung nehmen sollte. Leicht könnte auch die vegane Bewegung diesen Weg einschlagen und im Ergebnis ebenso scheitern wie die grüne Partei, deren scheitern jedenfalls in Deutschland wohl als final zu betrachten ist. Aus dem Aufbruch wurde Konservatismus und die heutigen Positionen der Grünen sind denen der CDU/CSU vor 10 Jahren und selbst heute bei weitem ähnlicher als ihren ursprünglichen Gründer:innen. Geblieben sind Rituale, leere Worte und Zeremonien, die wohl noch eine gewisse emotionale Bedeutsamkeit haben mögen und tatsächlich komplett ihres Inhaltes beraubt wurden.
Während mehr als zwei Millionen weiße Ukrainer:innen – glücklicherweise – von der Gesellschaft jedenfalls anfangs willkommen geheißen wurden, gelten einige zehntausend Menschen aus Afrika pro Jahr bereits als Bedrohung unseres Staatswesens und unserer Kultur.
Gegen diese - und andere Geflüchtete - wurden in einem rassistisch aufgeladenen Klima Maßnahmen erlassen, an denen sich die Grünen aktiv beteiligten. Im Ergebnis haben sie eine andere Republik hinterlassen und an Merz & Co übergeben.
Dabei handelt es sich um kein auf Deutschland eingeschränktes Problem, sondern es entstanden mit der Mitarbeit der Grünen in der Europäischen Union Strukturen im Umgang mit Geflüchteten, die nur als Strukturen der Gewalt bezeichnet werden können. Zum Hintergrund in aller Kürze nur eine punktuelle Benennung einiger EU-Maßnahmen, die die Grünen mitgetragen haben:
Ertrinkenlassen im Mittelmeer (Pylos-Fall)
Die EU lässt seit Jahren jedes Jahr tausende Menschen ertrinken. Sie nimmt ihren Tod hin, damit diese nicht das Landgebiet der EU erreichen. Alle EU-Länder tragen hierfür Verantwortung, indem sie die betreffenden Grenzländer (z.B. Griechenland, Spanien) in ihren Maßnahme unterstützen und Finanzierung leisten, die mit dem Sterben im Mittelmeer beiträgt. Im Juni 2023 ertranken bei einem besonders schrecklichen Einzelvorgang über 600 Menschen vor der griechischen Küste bei Pylos. Die griechische Küstenwache war frühzeitig informiert, rettetet die Menschen jedoch nicht, sondern ergriff aktive Maßnahmen, die ihr Ertrinken förderten.
- Pushbacks und Schleppungen auf offenes Meer durch Griechenland & Frontex: Frontex dokumentierte illegale Pushbacks in der Ägäis, bei denen Migranten systematisch auf Schlauchboote gesetzt und in türkische Gewässer geschleppt wurden. Diese Vorfälle wurden intern vertuscht, obwohl sie gegen internationales Recht verstoßen.
- Zusammenarbeit mit libyscher „Küstenwache“ (Milizen): Die EU unterstützt libysche Milizen, die als „Küstenwache“ fungieren, mit Ausrüstung und Training, obwohl bekannt ist, dass diese Migranten zurückschleppen, foltern und versklaven. Diese Unterstützung erfolgt trotz der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen.
- Tunesien: Migranten in der Wüste ausgesetzt, EU zahlt: Tunesische Sicherheitskräfte setzen Migranten in der Wüste aus, wo viele verdursten. Trotz dieses Vorgehens schloss die EU 2023 einen Migrationsdeal mit Tunesien ab und unterstützt das Land finanziell bei seinen Maßnahmen gegen Migration. Zielstellung ist, dass die Menschen, die nahezu alle aus Kriegsgebieten oder Gebieten mit extremer Verfolgung stammen nicht in der EU ankommen.
- Sudan: EU arbeitete mit RSF-Milizen zusammen: Die EU finanzierte sudanesische RSF-Kräfte zur Grenzsicherung, obwohl diese für Massaker und Völkermord in Darfur verantwortlich sind. Diese Unterstützung trug zur weiteren Destabilisierung der Region und zu der aktuellen humanitären Katastrophe bei. Zielstellung der EU ist unter dem Motto „Grenzsicherung“ traditionell offene Grenzen in Afrika für die Bevölkerungen zu schließen, obgleich diese die offenen Grenzen für ihre Ernährungssicherheit und für die Möglichkeit vor Krieg und Naturkatastrophen zu fliehen, für ihr Überleben brauchen.
- Niger: EU-Politik zwang Migranten in die tödliche Sahara: Die EU finanzierte ein Gesetz in Niger, das den Transport von Migranten durch die Sahara verbot. Dies zwang Menschen auf gefährlichere Routen, viele verdursteten. Erst 2023 hob Nigers Militärregierung das Gesetz auf, wobei das neue Regime offenbar vorwiegende deshalb durch di EU-Regierungen bekämpft wurde und wird, weil es nicht weiter für die EU die Arbeit übernehmen möchte, Menschen in Wüsten sterben zu lassen, damit sie die EU nicht erreichen.
- Tödliche Gewalt an der polnisch-belarussischen Grenze – mit Duldung durch EU und Deutschland: Seit 2021 sind an der Grenze zwischen Polen und Belarus mindestens 55 Geflüchtete ums Leben gekommen – viele von ihnen starben an Erschöpfung, Erfrieren oder Verdursten, nachdem sie mehrfach durch illegale Pushbacks zurückgedrängt wurden. Polnische Grenzbeamte setzen rechtswidrig Gewalt ein, um Menschen ohne Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit nach Belarus abzuschieben – ein klarer Bruch des internationalen Flüchtlingsrechts. Asylanträge werden unterbunden, das Grenzgebiet ist für NGOs, Ärzt:innen und Journalist:innen abgeriegelt, Helfer:innen werden kriminalisiert. Die EU schweigt nicht nur dazu, sondern beteiligt sich aktiv: Polen erhielt über 140 Millionen Euro zur Unterstützung der Grenzsicherung – und sperrte davon einen 5,5 m hohen Stahlzaun gegen Flüchtlinge ab. Trotz öffentlicher Appelle hat die EU-Kommission bis heute kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Dabei fordern internationale Organisationen wie Human Rights Watch den sofortigen Stopp der Pushbacks und die Gewährleistung von Asylverfahren. Die tödliche Gewalt an der Grenze ist politisch gewollt, durch die EU finanziert – und mitverantwortet.
Deutschland ist und war die gesamte Zeit über – ob mit oder ohne die Grünen - an der Unterstützung oder mindestens der wohlwollenden Duldung solcher und vieler weiterer ähnlicher Maßnahmen beteiligt, liefert Ausrüstung und stimmt EU-Deals zu, obwohl Menschenrechtsverletzungen nicht nur bekannt sind, sondern offenbar auch direkt intendiert werden.
Diese Praktiken sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck einer systematischen Abschottungspolitik. Menschenrechte werden planvoll verletzt, um Flüchtlinge fernzuhalten. Die Verantwortung liegt bei der EU und ihren Mitgliedsstaaten wie Deutschland und somit bei all denen, die aktive Regierungsveranwortung tragen oder trugen.
Tatsächlich hat die letzte Bundesregierung zudem unter Beteiligung der Grünen eine – aus Sichtweise derjenigen, die sich für den Schutz von Geflüchteten einsetzen – regelrechte Horrorliste an Maßnahmen verabschiedet. Diese Maßnahme haben gleichzeitig der Spektrum der Gesellschaft weiter nach rechts verschoben und haben somit die Steilvorlage für eine weitere Brutalisierung der Migrationspolitik unter neuen Merz-Regierung geliefert:
- Zustimmung zur härtesten EU-Asylrechtsverschärfung seit Bestehen: Die Bundesregierung stimmte 2023 der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu – der weitreichendsten Entrechtung von Geflüchteten in der Geschichte der EU. Die Reform ermöglicht haftähnliche Internierungslager an den EU-Außengrenzen, beschleunigte Ablehnungen ohne individuelle Prüfung und pauschale Einstufung als „offensichtlich unbegründet“. Kinder, Familien und Traumatisierte sollen dort wochenlang festgehalten werden dürfen – ohne wirksamen Rechtsschutz, unter entwürdigenden Bedingungen. Was als „Steuerung“ verkauft wird, ist de facto ein System flächendeckender Inhaftierung und Abschottung. Die Prüfung der Anträgt ist reine Formalie und automatiiserte Massenablehnungen sind vorprogrammiert.
- Einführung von Bezahlkarten für Geflüchtete: Die Bundesregierung und die Bundesländer führten flächendeckend Bezahlkarten ein, die Asylsuchenden nur ein begrenztes Guthaben bieten. Die Karten sind regional beschränkt, können nicht für Überweisungen genutzt werden und verhindern, dass Betroffene selbst kleine Beträge an ihre Familien schicken – etwa für Medikamente, Schulgebühren oder Nahrung. Sie stigmatisieren Geflüchtete, zwingen sie in Kontrollsysteme .
- 100 % Kürzung der Leistungen für bestimmte Gruppen: Wer laut Dublin-Verordnung in ein anderes EU-Land überstellt werden soll, erhält in Deutschland künftig keinerlei Sozialleistungen mehr – weder Unterkunft, Nahrung noch medizinische Versorgung. Betroffene werden dadurch in Obdachlosigkeit, Hunger und Illegalität gedrängt. Menschenrechtsorganisationen warnen, dass solche Maßnahmen Geflüchtete sind besonders anfällig für Ausbeutung, Zwangsprostitution und kriminelle Schleusernetzwerke. Viele von ihnen meiden die Weiterreise in andere EU-Länder, weil sie befürchten müssen, von dort aus in ihre Herkunftsstaaten – häufig Verfolgerstaaten oder Kriegsgebiete – abgeschoben zu werden. In Deutschland sind sie oftmals sogar vom Zugang zu grundlegenden Lebensmitteln abgeschnitten und sehen sich gezwungen, in illegalen Ausbeutungsstrukturen zu überleben. Allerdings gibt, es nun ein Urteil eines Sozialgerichts, was einen Lichtblick dar. Demnach ist die rot-grün-gelbe Regierung mit dieser Außerkraftsetzung aller Humanität einen Schritt zu weit gegangen: Das Sozialgericht Hamburg hat in einem Beschluss vom 17. April 2025 festgestellt, dass der vollständige Ausschluss von Sozialleistungen für ausreisepflichtige Asylbewerber im Dublin-Verfahren nicht zulässig ist. Das Gericht betonte, dass auch diese Personen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben – was zumindest die Bereitstellung von Unterkunft, Nahrung und grundlegender medizinischer Versorgung umfasst.Es ist bemerkenswert, dass Parteien wie die Grünen, die einst zur Verteidigung der Menschenwürde angetreten sind, durch ein Gericht daran erinnert werden müssen, dass auch sie sich an minimale Grundsätze der Humanität zu halten haben.
Rückführungsoffensive und Abschiebegesetz 2023/2024: Die Bundesregierung verlängerte die mögliche Abschiebehaft auf 28 Tage, erlaubte unangekündigte Abschiebungen und polizeiliche Wohnungsdurchsuchungen auch in Unterkünften. Für Betroffene bedeutet dies plötzliche nächtliche Festnahmen, Haft ohne Straftat und Einschüchterung von Familien mit Kindern. Die Maßnahmen betreffen auch psychisch Erkrankte und Menschen mit schwerer Traumatisierung.
Die Maßnahmen der vorherigen Regierung, die sich jedenfalls seitens der Grünen als eine reformerische Regierung verstand, werden nun durch die Nachfolgeregierung nicht nur fortgesetzt, sondern gezielt verschärft. Die neue Regierung unter Kanzler Friedrich Merz macht sich die Politik der Vorgängerregierung vollauf zu eigen und verschärft sie – mit dem erklärten Ziel, noch gnadenloser gegen Schutzsuchende vorzugehen gnadenloser gegen Schutzsuchende vorzugehen:
- Die neue Bundesregierung plant eine Reihe migrationspolitischer Maßnahmen, die auf systematische Abschottung, Entrechtung und Abschreckung setzen. Schutzsuchende sollen künftig bereits an den Grenzen zurückgewiesen werden. Die dafür verlängerten Grenzkontrollen bis mindestens 2026 torpedieren das Prinzip des freien Personenverkehrs im Schengen-Raum.
- Besonders zynisch ist die geplante Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten auf Länder wie Algerien, Marokko, Indien und Tunesien – trotz bekannter Menschenrechtsverletzungen. Die Botschaft ist klar: Wer aus diesen Regionen flieht, wird pauschal als unglaubwürdig abgestempelt.
- Humanitäre Aufnahmeprogramme, etwa für besonders gefährdete Afghan:innen, wurden vollständig eingestellt. Damit werden Schutzbedürftige bewusst im Stich gelassen – mit voller Absicht und politischen Kalkül.
- Die sogenannte „Rückführungsoffensive“ zielt auf eine dramatische Steigerung der Abschiebungen. Sogar in Länder wie Afghanistan und Syrien, in denen Folter, Gewalt und Terror weiter Alltag sind, sollen künftig wieder Menschen abgeschoben werden – zunächst Straftäter, danach die anderen.
- Abgelehnte Asylbewerber sollen nach ihrer Haft in „Ausreisegewahrsam“ überführt werden – faktisch eine Internierung ohne Perspektive. Die Kapazitäten für Abschiebehaft werden massiv ausgebaut, die Bundespolizei erhält zusätzliche Zwangsbefugnisse.
Was hier als Ordnungspolitik verkauft wird, ist in Wahrheit ein Frontalangriff auf grundlegende Menschenrechte. Die Regierung Merz zeigt offen, dass sie nicht Schutz gewähren, sondern Schutz verhindern will – um jeden Preis, selbst wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen. Sie greift damit auf, was die Vorgängerregierung längst begonnen hatte.
Reform kann Rückschritt verschleiern
Die Maßnahmen der rot-grün-gelben Bundesregierung entsprachen in ihrer strukturellen Ausrichtung einem rechtsgerichteten Denken und leisteten rechtsgerichteten Ideologien weiteren Vorschub. Die Reformer:innen haben nicht die Gesellschaft nach links verschoben, sondern sie selbst zu Rechten geworden, womit sie gleichzeitig den vorherigen Rechten den Anlass gaben, sich ihrerseits weiter nach rechts zu bewegen, was wir nun bei der Merz-Regierung beobachten können.
Die Auswirkungen sind weitreichend:
- Die Grünen ermöglichten als reformerische Kraft eine Politik, die nicht nur die systematische Entrechtung und Entmenschlichung Schutzsuchender beförderte, sondern zugleich das gesamte politische Koordinatensystem in den Rechtsruck führte. Denn wenn selbst eine Partei wie die Grünen – die sich einst auf Menschenrechte berief – deren Geltung für bestimmte Gruppen de facto aufhebt, radikalisierten sich die Rechten zwangsläufig noch weiter; genau dies ist geschehen.
Wenn Deutschland nach mehrfachen Regierungen unter Beteiligung der Grünen aktuell vor einem Scherbenhaufen beim Klima- und Umweltschutz und bei den Menschenrechten steht, legt dies nahe, dass eine verfrühte Einbindung in Regierungsverantwortung nicht hilft, sondern schadet.;
- Fehlen die Voraussetzungen für echte Veränderungen in eine emanzipatorische Richtung kann so ein reformerischer Ansatz, der Regierungsverantwortung übernehmen will, zur Gefahr für eine ganze Bewegung werden, deren Ideale so zu toten Ritualen und Gedenkstätten verkümmern:
Viele sehen solche reformerischen Positionierungen als das kleinere Übel. Doch hinter einem kleineren Übel mag sich ein großes Übel verbergen. Die Bilanz der deutschen Grünen legt nahe, dass das kleinere Übel in Wirklichkeit genau diejenigen Kräfte stabilisierte, die sie einstmals bekämpfen wollten. Letztlich hat diese Art von Reformpolitik die Voraussetzungen mit geschaffen, die es jetzt Merz in Deutschland ähnlich wie Trump in den USA ermöglichen, durchzumarschieren.
Womöglich sähe es nicht schlechter, sondern besser aus, wenn all die Hunderttausenden, die einst gegen Atomraketen und Waldsterben demonstrierten, nicht in die politische Verantwortung der Mächtigen eingebunden worden wären, sondern ihren Protest konsequent fortgesetzt und womöglich im Verlauf sogar vervielfacht hätten.
Warnruf an die vegane Community
Die aktuelle Rechtentwicklung und ihre systematische Vorbereitung und Ermöglichung durch reformerische Kräfte, die im Sinne des kleineren Übels agierten, sollte der veganen Community eine Warnung sein:
- Das Scheitern der reformerischen Kräfte, die keine bessere, sondern eine brutalere Gesellschaft hinterlassen haben, ist essenziell für die vegane Community, um die gleichen Fehler nicht unendlich zu wiederholen, sondern eine erfolgreiche Strategie zu finden, sich der brutalen Tierausbeutungs-Gesellschaft entgegenzustellen und zu echter Veränderung zu gelangen.
Tatsächlich findet die komplette Erosion und der Zusammenbruchs des Schutzes für Geflüchtete unter der Federführung reformerischer Kräfte eine Parallelität im staatlichen Tierschutz aufweist:
- Der klassische Tierschutz feiert seit Jahrzehnten scheinbare Erfolge. Mittlerweile gibt es in Deutschland – ebenso wie in den meisten anderen westlichen Ländern – umfangreiche Tierschutzregelungen, die zudem über die Jahrzehnte in der Gesamtschau nach erstem Anschein immer weiter verschärft wurden. So hinterließ uns zuletzt der grüne Landwirtschaftsminister Özdemir Regelungen zum Tierwohl, nach denen nun alle Verbraucher:innen sich scheinbar bereits beim Einkauf für den Tierschutz einsetzen können.
Was aber ist das Resultat all dessen für die tatsächlich betroffenen Tiere?
Der Fleischkonsum stagniert auf weltweitem Rekordniveau. Die Fleischproduktion hat 2024 sogar erstmals wieder zugenommen. Und das, was nicht an neuem Wachstum innerhalb des Landes erzielt werden kann, investiert die Tierausbeutungsindustrie in den weltweiten fortgesetzten Ausbau ihrer Qualproduktion.
Das Sterben und Leiden der Tiere wird durch solchen Tierschutz nicht beendet, sondern es wird hinter Mauern versteckt. Es geht Tieren in Deutschland im Durchschnitt nicht besser als Tieren in anderen Ländern, die keine Tierschutzgesetze haben.
Profitieren von solchen Reformen tut vorwiegend das Gewissen der Verbraucher:innen, die sich ihren Konsum von Tierleid nunmehr mit Tierwohlorientierung und Tierschutzgesetzen schönreden können.
Der klassische Tierschutz von daher weniger den Tieren als der Anästhetisierung der Verbraucher:innen, die ihre inneren Dissonanzen ohne Konsumänderung so reduzieren können. Die Tierausbeutung wird so nicht abgebaut, sondern ihr dauerhaftes Fortbestehen ermöglicht.
Das Gesamtbild grüner und ähnlicher Reformversuche ist äußerst negativ:
- Die Klimakrise eskaliert und wird beiseite geschoben. Gewalt gegen Geflüchtete wird normalisiert. Immer weniger Menschen besitzen immer größere Anteile des Gesamtvermögen auf der Welt. Tierleid wird als selbstverständlicher Bestandteil der Produktions- und Konsumsysteme betrachtet.
Alle Versuche, durch reformistische Anpassung Einfluss zu nehmen, haben langfristig nicht geholfen.
Dies betrifft auch den Veganismus:
- Der Veganismus ist nicht im Aufstieg, sondern in der Stagnation – und muss sich auf einen Rückgang vorbereiten. Diese Phase kann jedoch genutzt werden, um sich klar zu positionieren und mit all jenen zu verbinden, die Widerstand gegen die Rechtsentwicklung leisten. Auf der Basis geteilter Empathie kann so eine neue Basis geschaffen werden, um Menschen für die vegane Bewegung zu gewinnen. Nur so lassen sich die Voraussetzungen schaffen für eine menschenwürdige und tierwürdige Gesellschaft der Zukunft.
Diese Voraussetzungen zerstören wir, wenn wir uns an eine Gesellschaft anpassen, die Unrecht nicht nur zulässt, sondern aktiv betreibt, bei der das Unrecht letztlich in der Essenz der Gesellschaft verankert ist. Wer sich dem anpasst, verwässert die eigene Lebensweise bis zur Unkenntlichkeit – und läuft Gefahr, sie letztlich selbst zu diskreditieren.
Der Veganismus sollte daher aufhören, auf Anerkennung durch eine mehrheitlich mitverantwortliche Gesellschaft zu hoffen. Stattdessen braucht es Klarheit, Standhaftigkeit und die bewusste Annahme der Rolle einer ethisch konsequenten Minderheit.
Genau hierfür sprechen auch die klassischen Untersuchungen der Gruppe um Moscivici zum Einfluss von Minderheiten auf die Mehrheit:
- Die sozialpsychologische Forschung zeigt, dass radikale Minderheiten durch konsequente und kompromisslose Positionierung erheblichen Einfluss auf die Mehrheit ausüben können. Diese Erkenntnis wurde erstmals durch Serge Moscovici belegt, der in einem klassischen Experiment nachwies, dass eine konsistente Minderheit die Wahrnehmung der Mehrheit beeinflussen kann. In Gruppen von sechs Personen, in denen zwei Konföderierte konsequent blaue Dias als grün bezeichneten, übernahm die Mehrheit in 8,4 % der Fälle diese abweichende Sichtweise. Dies führte zu messbaren Veränderungen in Wahrnehmungstests und damit zu einem Hinweis auf echte kognitive Umstrukturierung.
- In einer darauf aufbauenden Studie zeigten Moscovici und Personnaz, dass allein Minderheiten – nicht aber Mehrheiten – in der Lage waren, die tatsächliche Wahrnehmung zu verändern. Während Mehrheiten meist nur öffentliche Konformität bewirkten, führten konsistente Minderheiten zu latenten, aber stabilen Meinungsänderungen.
- Anne Maass und Russell Clark werteten fünfzehn Jahre Minderheiteneinflussforschung aus und stellten fest, dass Minderheiten unterschätzt werden, weil sie vor allem private Einstellungsänderungen bewirken, die öffentlich nicht sofort sichtbar sind.
- In einer theoretischen Arbeit argumentierte Charlan Nemeth, dass Mehrheiten vorwiegend normativen Druck ausüben, während aktive Minderheiten informativen Einfluss entfalten, der zu kreativerem, divergentem Denken führt.
- Eine Meta-Analyse von Wendy Wood und Kolleg:innen bestätigte, dass Minderheiten vor allem indirekte und private Einstellungsänderungen hervorrufen. Die Konsistenz des Auftretens der Minderheit wurde dabei erneut als entscheidender Faktor für ihren Einfluss identifiziert.
- Robin Martin, Miles Hewstone und Pearl Y. Martin zeigten in Experimenten, dass durch Minderheiten induzierte Meinungsänderungen besonders dauerhaft sind und resistenter gegenüber Gegenargumenten bleiben als solche, die durch Mehrheiten hervorgerufen wurden.
- Eine interdisziplinäre Studie von Xie und Kolleg:innen zeigte, dass eine kleine, kompromisslose Minderheit ab einem kritischen Schwellenwert von etwa 10 % der Bevölkerung die vorherrschende Mehrheitsmeinung rasch zum Kippen bringen kann. Sobald diese Schwelle überschritten ist, vollzieht sich ein Übergang zum neuen Konsens.
Zusammenfassend zeigt die sozialpsychologische und soziologische Forschung, dass Minderheiten vor allem dann großen Einfluss entfalten können, wenn sie konsistent auftreten, Überzeugung und Einheit demonstrieren und sich nicht einfach der Mehrheit anpassen.
Eine solche Minderheit kann Mehrheiten zunächst latent beeinflussen und unter günstigen Bedingungen schließlich sogar Mehrheitsmeinungen kippen. Passen sich Minderheiten dagegen zu sehr an die Mehrheitsnorm an, verlieren sie genau die Distanz und Unverwechselbarkeit, die nötig ist, um Aufmerksamkeit zu erregen und Wandel anzustoßen.
Konsistenz kann die vegane Bewegung stabilisieren und zu neuem Wachstum bringen
Veganer:innen stellen derzeit 2 % der Bevölkerung dar. Passt sich die vegane Community an die Mehrheitsgesellschaft an, wird sie so jeden Einfluss verlieren und schlichtweg in der Mehrheit untergehen. Dabei zeigt der relative Meinungseinfluss der geringen Anzahl an Veganer:innen gleichzeitig im Grunde nochmals eindrucksvoll, wie sehr eine konsistent auftretende Minderheit die Gesellschaft in ihrem Diskurs beeinflussen kann. Geben Veganer:innen jedoch den Umarmungsversuchen maßgeblicher Kräfte der Mehrheit nach und begnügen sich mit ein paar veganen Gerichten auf jeder Speisekarte, wird dieser Einfluss genau an dieser Stelle enden.
2 % sind bereits erstaunlich wirksam – durch das konsistente Auftreten eines Großteils der veganen Community. Dennoch sind 2 % noch zu wenig, um grundlegende Veränderungen zu erreichen. Die Studie von Xie und Kolleg:innen legt nahe, dass etwa 10 % erforderlich wären, um einen gesellschaftlichen Kipp-Punkt herbeizuführen.
Neben der Beibehaltung der eigenen Konsistenz ist daher auch das weitere Wachstum der veganen Community von zentraler Bedeutung, um einen gesellschaftlichen Wandel im Sinne eines Einsturzes der Mehrheitsposition zu ermöglichen. Dieses Wachstum sollte sich dabei vorrangig an diejenigen wenden, die mit den geringstmöglichen Ressourcen nachhaltig für die vegane Bewegung erreichbar sind.
Konservative, die zur veganen Lebensweise wechseln, tun dies – wie oben dargestellt – oft nur für kurze Zeit. Zudem können Rechte innerhalb der veganen Bewegung diese ausgerechnet bei Linken diskreditieren, die in Wirklichkeit eine viel größere Affinität zum Veganismus haben und auch eher dabei bleiben, wenn sie gewonnen werden.
Vor diesem Hintergrund folgt für die vegane Bewegung, dass sie sich an die Spitze derjenigen stellen sollte, die sich gegen den Rechtsruck wenden, und gleichzeitig genau in diesem links-progressiven Spektrum ihren Einfluss maximal zur Geltung bringen kann – um erneut zu einem nachhaltigen Wachstum zu gelangen, welches die realistische Hoffnung auf eine künftige Beendigung der Tierausbeutung begründen würde.