Weltweit größter Fachverband stützt vegane Ernährung

Weltweit größter Fachverband stützt vegane Ernährung

Soeben hat die weltweit größte Vereinigung von Ernährungswissenschaftlern, die US-amerikanische Academy of Nutrition and Dietetic, eine revidierte und umfassend aktualisierte Stellungnahme zur vegetarischen und veganen Ernährung veröffentlicht. Die Stellungnahme gelangt zu der Schlussfolgerung, dass vegetarische und vegane Ernährungsformen gesund seien, zu einer angemessenen Nährstoffversorgung führten und gesundheitliche Vorteile bei der Prävention und Behandlung von Erkrankungen aufwiesen. Eine vegetarische und vegane Ernährung sei dabei für alle Lebenszyklen geeignet, einschließlich Schwangerschaft, Stillzeit, Kleinkindalter, Kindheit, Jugendalter und höherem Lebensalter. Eine vegetarische und vegane Ernährung sei ebenfalls für Athleten geeignet. In diesem Artikel werden die wesentlichen Aussagen der Academy of Nutrition and Dietetics durch den Verfasser Guido Gebauer dargestellt und es erfolgt nachfolgend ein Vergleich zur Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Es schließt sich eine kritische Analyse der Medienberichterstattung sowie von ideologischen Motiven an, die die Differenzen zwischen der DGE und der Academy of Nutrition and Dietetics möglicherweise erkären können. Der Verfasser gelangt zu der Schlussfolgerung, dass Veganer mit der Academy of Nutrition and Dietetics eine Institution von Weltrang auf ihrer Seite haben. Die Unterstützung dieser Institution für die vegane Ernährung sollte im deutschsprachigen Raum noch bekannter gemacht werden, um der vegankritischen konservativen Position der DGE ihr Gewicht zu nehmen.

Hauptaussagen der Stellungnahme

Hinweis zur Terminologie

Verwendet wird in der Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics der Oberbegriff „vegetarisch“, wobei „vegan“ als besondere Form einer vegetarischen Ernährung verstanden wird. Alle unter dem Oberbegriff „vegetarisch“ getätigten Aussagen gelten gemäß der Stellungnahme auch für die vegane Ernährung, es sei denn, es wird explizit auf andere Befunde oder Bewertungen hingewiesen.

Vorbeugung und Behandlung von Erkrankungen

Eine vegetarische Ernährung könne im Vergleich zu einer nicht-vegetarischen Ernährung Schutz bieten gegenüber vielen chronischen Erkrankungen, wie Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes II, Adipositas und einige Krebsarten. Die vegane Ernährung schütze dabei nach vorliegenden Befunden offenbar stärker gegen die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung insgesamt als alle anderen Ernährungsformen. Ebenfalls scheine eine vegane Ernährung zur stärksten Reduktion von Risikofaktoren für eine Herzerkrankung zu führen. Außerdem biete eine vegane Ernährung den stärksten ernährungsbezogenen Schutz vor einer Diabetes II Erkrankung. Eine vegane Ernährung eigne sich auch für ein besseres Management einer bereits bestehenden Erkrankung an Diabetes II. Außerdem beuge eine vegetarische und vegane Ernährung Übergewicht vor und sei zudem eine wirksame Behandlung bereits bestehender Adipositas (krankhaftes Übergewicht).

Nährstoffversorgung

Vegetarische und vegane Ernährungsweisen führen nach den Ergebnissen der Stellungnahme in der Regel zu einer guten Nährstoffversorgung, wobei diese typischerweise besser sei als bei einer omnivoren Ernährung (Mischkost mit Fleisch). Außerdem seien eine geringe Aufnahme gesättigter Fette und eine hohe Aufnahme von Früchten, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Sojaprodukten, Nüssen und Sämereien Merkmale einer vegetarischen und veganen Ernährung, die zu einem geringeren Cholesterinspiegel und zu einem besseren Zuckerstoffwechsel führten.

Als einziger Stoff, der immer über angereicherte Lebensmittel oder eine Supplementierung zugeführt werden müsse, wird in der Stellungnahme Vitamin B-12 benannt.

Demgegenüber seien die geringeren Eisenspeicher von Vegetariern womöglich eher vorteilhaft, weil erhöhte Eisengehalte im Blut mit dem Risiko der Entwicklung eines metabolischen Syndroms assoziiert seien. Obwohl Eisen aus pflanzlichen Quellen grundsätzlich schwerer aufnehmbar sei, komme es bei vegetarischer Ernährung zu einem Anpassungsprozess, weshalb die Hämoglobinwerte von Vegetariern sich nicht von den Hämoglobinwerten von Omnivoren unterscheiden würden.

Keine Belege werden in der Studie für einen mit einer vegetarischen oder veganen Ernährung womöglich assoziierten Mangel an Zink gesehen.

Die Versorgung mit Kalzium könne durch eine vegetarische oder vegane Ernährung beispielsweise über mit Kalzium geronnenen Tofu gedeckt werden. Wertvolle Kalzium-Quellen seien außerdem Grünkohl, Rüben, Chinakohl, Pak Choi, weiße Bohnen, Mandeln und Orangen.

Wenn der Jod-Bedarf nicht beispielsweise über Seegemüse gedeckt werde, könne eine Jod-Supplementierung sinnvoll sein.

Zur Vitamin-D Versorgung werden Sonnenlicht und der Konsum angereicherter Lebensmittel empfohlen.

Schwangerschaft

Schwangerschaftsverläufe unterschieden sich bei vegetarischer Ernährung nicht von Schwangerschaftsverläufen bei nicht-vegetarischer Ernährung. Geburtsgewicht und Schwangerschaftsdauer seien vergleichbar. Tatsächlich gebe es umgekehrt Hinweise, dass Schwangerschaftskomplikationen durch Verzicht auf Fleisch reduziert werden könnten.

Ernährung und Lebensalter

Die Stellungnahme macht deutlich, dass eine vegetarische und vegane Ernährung für alle Altersstufen im Rahmen der menschlichen Entwicklung geeignet sei. Bei Kindern führe eine vegetarische und vegane Ernährung zu einem geringeren Risiko von Übergewicht und Adipositas. Dies spiegele sich auch in einem geringeren Risiko im Erwachsenenalter wider. Dies wiederum führe zu einer signifikanten Reduktion von Erkrankungsrisiken. Auch für den höheren Altersbereich sei eine vegetarische und vegane Ernährung geeignet.

Verantwortung gegenüber der Umwelt

Die Academy of Nutrition and Dietetics bezieht auch die Verantwortung gegenüber der Umwelt und dadurch die Ernährungssicherheit künftiger Generationen mit in ihre Überlegungen ein. Sie betont, dass pfanzenbasierte Ernährung ökologisch nachhaltiger sei, weil sie weniger Umweltressourcen beanspruche und zu weniger Umweltschäden führe.

Verglichen mit einer omnivoren Ernährung (Mischkost mit Fleisch) führe eine vegetarische Ernährung zu geringerem Verbrauch von Wasser und fossiler Energie und verwende weniger Pestizide und Dünger. Wenn beispielsweise Rindfleisch durch Bohnen ersetzt werden würde, wäre die Ernährung weltweit deutlich umweltfreundlicher.

So benötige ein Kilogramm Protein von Kidneybohnen 18-fach weniger Land, 10-fach weniger Wasser, 9-fach weniger fossile Energie, 12-fach weniger Dünger und 10-fach weniger Pestizide als für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch aufgewendet werden müsse.

Es wird auch dargelegt, dass 70% der Verschmutzung von Seen und Flüssen in den USA auf die Nutztierhaltung zurückgingen. Nutztierhaltung sei verbunden mit der Zerstörung von Landflächen, Luftverschmutzung, Verminderung der Artenvielfalt und der globalen Erderwärmung. Treibhausgasemissionen könnten durch eine vegetarische Ernährung um 29% und durch eine vegane Ernährung um mehr als 50% im Vergleich zu einer omnivoren Ernährung reduziert werden.

Gesundheitsgefahren durch Antibiotika

Die Academy of Nutrition and Dietetic thematisiert in ihrer Stellungnahme den Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung. Die Verwendung von Antibiotika in der Nutztierhaltung, um Wachstum zu fördern sowie Krankheiten zu behandeln oder ihnen vorzubeugen, habe zur Entstehung antibiotikaresistenter Bakterien geführt. Diese antibiotikaresistenten Bakterien könnten durch die Nahrungsmittelaufnahme auf den Menschen übertragen werden und seine mittlerweile einer ernstzunehmende allgemeine Gesundheitsgefährdung geworden.

Schlussfolgerungen

Die Schlussfolgerungen der Academy of Nutrition and Dietetics sind selbstredend (eigene Übersetzung aus dem Englischen):

Das Interesse und die Anerkennung pflanzenbasierter Ernährungsformen wächst in den USA und in anderen Teilen der Welt während Regierungseinrichtungen und verschiedene Gesundheits- und Ernährungsorganisationen eine regelmäßige Verwendung von Pflanzenkost fördern. Vielfältige Auswahlmöglichkeiten in den Märkten erleichtern es, einer pflanzenbasierten Ernährung zu folgen. Gut geplante vegetarische Ernährungsformen sichern eine ausreichende Nährstoffversorgung in allen Stadien des Lebenszyklus und können auch für das therapeutische Management einiger chronischer Erkrankungen hilfreich sein. Insgesamt ist dem Ernährungsstand bei vegetarische und veganer Ernährung typischerweise besser als bei omnivoren Ernährungsweisen, wie es auch die Erfassung mithilfe des Alternative Healthy Eating Index zeigt. Auch wenn einige vegetarische Ernährungsweisen zu geringen Aufnahme einiger Nährstoffe, wie Vitamin B12 und Kalzium, führen können, kann dies durch eine angemessene Planung korrigiert werden. Im Vergleich zu nicht-vegetarischen Ernährungsformen können vegetarische Ernährungen vor vielen chronischen Erkrankungen, wie Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes II und Adipositas und einigen Krebsarten, schützen. Außerdem ermöglichen vegetarische Ernährungsweisen einen nachhaltigeren Umgang mit der Umwelt und führen zu weniger Umweltzerstörung ...

Bewertung aus veganer Sichtweise

Die weltweit größte wissenschaftliche Vereinigung von Ernährungsexperten positioniert sich in ihrer aktuellen Stellungnahme eindeutig veganfreundlich.

Es werden keinerlei Bedenken gegen eine gut geplante vegane Ernährung während Schwangerschaft, Stillzeit, Kleinkindalter, Kindes- und Jugendalter, Erwachsenenalter und Seniorenalter erhoben. Breiten Raum nimmt im Gegenteil die ausführliche Darstellung möglichen gesundheitlicher Vorteile vegetarischer und veganer Ernährungsweisen im Vergleich zur omnivoren Ernährung ein. Dabei wird deutlich, dass vegetarische und vegane Ernährungsweisen für die schwersten und am meisten gefürchteten Erkrankungen (Herzerkrankungen, Krebserkrankungen) ein Präventions- und womöglich auch ein Behandlungspotential aufweisen. Ebenso ist von einem pflanzenbasierten Schutz vor Diabetes II und Adipositas auszugehen.

Den Anforderungen der Zeit entsprechend, geht die aktuelle Stellungnahme der Academy of Diatetics and Nutrition umfangreich auf die ökologischen Auswirkungen vegetarischer und veganer Ernährungsformen ein. Die massive Schädigung der Umwelt durch die Nutztierhaltung wird in aller Deutlichkeit und durch wissenschaftliche Fakten untermauert geschildert. Die Academy of Dietetics and Nutrition erkennt damit, dass Ernährungswissenschaft nicht abseits gesellschaftlicher Problemstellungen operieren darf, sondern die Verantwortung für künftige Generationen und deren Ernährungssicherheit mit einbeziehen muss. Die katastrophalen Auswirkungen der Nutztierhaltung auf die Umwelt werden in der Stellungnahme entsprechend schonungslos dargelegt. Die Leser und Leserinnen werden über die Sachlage informiert, dass sie mit ihrer Ernährungswahl auch Einfluss auf die Umwelt ausüben.

Positiv ist festzustellen, dass in der Stellungnahme immer wieder auch auf besondere Aspekte der veganen Ernährung eingegangen wird, auch wenn sie hauptsächlich unter dem Oberbegriff der vegetarischen Ernährungsweisen betrachtet wird. Trotzdem ist die Trennung zwischen ovo-lacto vegetarischer und veganer Kost in der Stellungnahme noch nicht an allen Stellen ausreichend. So wird nicht deutlich, dass die vegane Ernährung zu bei weitem stärkerer Umweltschonung führt als die ovo-lacto vegetarische Lebensweise. Zwar werden die Auswirkungen der Nutztierhaltung plastisch geschildert, es fehlt aber der Hinweis, dass auch die ovo-lacto vegetarische Ernährung mit umweltschädigender Nutztierhaltung einhergeht. Für die Zukunft wäre hier eine stärkere Differenzierung zu wünschen, was aber nichts an der aus veganer Sichtweise sehr positiven Gesamtbewertung der Stellungnahme ändert.

Gänzlich abwesend sind in der Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics tierethische Überlegungen. Das Wohlergehen der Tiere spielt in der Stellungnahme keine Rolle. Auch in den USA gibt es eine Vielzahl an Tierschutzgesetzen, Tierschutzvereinen und bereitwilligen Spendern für Tierschutzanliegen. Der Gedanke des Tierschutzes hat insofern selbst in einer auf Tiernutzung beruhenden Gesellschaft eine belegbare Relevanz. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Autoren in der Stellungnahme den Tierschutz ebenso erwähnt hätten wie den Umweltschutz. Dass eine vegane Lebensweise dabei den Interessen des Tierschutzes dient, dürfte unstrittig sein.

Kontrast zur DGE-Stellungnahme

In ihrer neuerlichen Stellungnahme hat die DGE erstmals die Möglichkeit einer gesunden veganen Ernährung während Schwangerschaft und Kindheit bejaht. Ebenfalls wurden in den Hauptteilen der Stellungnahme erstmals mögliche positiven Auswirkungen einer veganen Ernährung thematisiert. Zudem hat die DGE sich nach jahrelanger Zurückhaltung zu gewissen Ernährungsempfehlungen für vegan lebende Menschen, einschließlich für Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren möchten, durchgerungen.

Trotzdem ist die Stellungnahme der DGE in Inhalt und Ton mit der aktuellen Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics nicht vergleichbar. Entsprechend dominierten auch in der auf die DGE bezogenen Medienberichterstattung vegankritische Bewertungen. Dies geht bis hin zu Warnungen, Kinder vegan zu ernähren oder zur Verweigerung von veganer Ernährung in Kindergärten und Schulen.

Es zeigen sich insbesondere folgende Kontraste zwischen der Stellungnahme der DGE und der Academy of Nutrition and Dietetics:

  • In ihrer für die Medien besonders wichtigen Zusammenfassung betont die DGE ausschließlich potentielle kritische Aspekte einer veganen Ernährung. Demgegenüber gelangt die Academy of Nutrition and Dietetics zu einer positiven Zusammenfassung, in der Gesundheitsvorteile und Umweltvorteile einer vegetarischen und veganen Ernährung betont werden. Die Academy of Nutrition and Dietetics stellt die Chancen einer vegetarischen und veganen Ernährung in den Vordergrund, die DGE betont (vermeintliche) Risiken.
  • Die DGE ist in ihrer Zusammenfassung hochgradig selektiv. Sie lässt im Hauptteil der eigenen Stellungnahme noch zitierte veganpositive Forschungsbefunde konsequent in der Zusammenfassung aus. So sieht die DGE beispielsweise eine vegane Schwangerschaft besonders kritisch und ignoriert dabei komplett die gegenteiligen Forschungsbefunde, die sie im Hauptteil noch selbst benannte. Demgegenüber spiegelt die Zusammenfassung der Academy of Nutrition and Dietetics die umfangreiche Analyse des Hauptteils gut wider.
  • Bezüglich einer veganen Ernährung in der Kindheit verpasste es die DGE - anders als die Academy of Nutrition and Dietetics - auch nur eine einzige Studie zu dieser Thematik zu zitieren. In keiner Weise geht die DGE zudem auf die gegebenenfalls lebenslangen gesundheitlichen Vorteile für vegan lebende Kinder und Jugendliche ein, die durch die vegane Ernährung krankheitswertiges Übergewicht und damit assoziierte Erkrankungen häufiger vermeiden können. Die Risiken einer omnivoren Ernährung in Kindheit und Jugend werden durch die DGE nicht benannt.
  • Die DGE äußert sich in ihrer Stellungnahme nicht zu den Auswirkungen einer veganen Ernährung auf die Umwelt. Ebenso lässt sie gesundheitliche Gefährdungen durch den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung aus. Damit vertritt die DGE anders als die Academy of Nutrition
    d Dietetics
    eine konservativ-kurzsichtige Ernährungspolitik, die die Interessen künftiger Generationen ausblendet. Dies ist nicht mehr zeitgemäß. Sachlage ist, dass die Nutztierhaltung nach wissenschaftlichen Befunden der nachhaltigen und ausreichenden Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung entgegensteht. Indem die DGE dies nicht zur Kenntnis nimmt, blendet sie einen der größten Problembereiche aus, mit dem sich die Menschheit derzeit konfrontiert sieht.
  • Es fällt auf, dass die Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics sich stärker auf neuere Untersuchungen stützt als die DGE. So stammen 30% der durch die DGE benannten Literaturangaben aus den Jahren 2014–2016, während 42% der durch die Academy of Nutrition and Dietetics Literaturangaben sich auf diese Jahre beziehen. In Anbetracht der größeren aktuellen Bedeutsamkeit pflanzenbasierter Ernährung wurden gerade in der jüngsten Vergangenheit vermehrt wissenschaftliche Untersuchungen mit hoher methodischer Qualität durchgeführt. Durch die DGE werden diese Untersuchungen weniger stark berücksichtigt als durch die Academy of Nutrition and Dietetics.

Vegan-Stellungnahmen in den Medien

Die Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics weist einen höheren Umfang, eine höhere Vollständigkeit, eine größere Aktualität und eine erhebliche höhere Transparenz bezüglich der Ableitung der Schlussfolgerungen auf als die derzeitig gültige Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE).

Trotz der offensichtlichen Einseitigkeiten und Verkürzungen der DGE-Stellungnahme (siehe hierzu eine vorherigen Analyse bei vegan.eu) hat die Stellungnahme der DGE eine große Medienresonanz gefunden. Mit Ausnahme eines kritischen Berichts in der Süddeutschen Zeitung sind diePositionen der DGE nicht nur meistens unhinterfragt übernommen, sondern teilweise in der Berichterstattung weiter zum Nachteil der veganen Ernährung verschärft worden. Beispielhaft meinte die taz, die vegane Ernährung berge Gesundheitsrisiken.

Nach wie vor stützen sich Medienberichte immer wieder auf die Stellungnahme der DGE. Obwohl die Stellungnahme der DGE in ihrem Hauptteil die Möglichkeit einer gesunden veganen Ernährung einräumt und auch gesundheitliche Vorteile diskutiert, ist der Ton der Medienberichterstattung vorwiegend negativ. Insbesondere für vegane Eltern und Kindern ergibt sich durch eine derartige Berichterstattung ein ungünstiges Klima. Zudem haben auch bereits Gerichte auf die Ansichtder DGE bzw. ihre verkürzte Zusammenfassung zurückgegriffen.

Gänzlich anders hätten die deutschsprachigen Medien fraglos über die vegane Ernährung berichtet, wenn die DGE eine Stellungnahme vorgelegt hätte, die der Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics mehr entsprochen hätte. Leider zeigen Medien oftmals doch einen eher wenig weitblickenden regional verankerten Standpunkt. Entsprechend berichten die deutschen Medien vorwiegend über die Position der DGE, während sie wenig oder kaum auf die Position der weltweit sehr viel einflussreicheren Academy of Nutrion and Dietetics eingehen. So entsteht ein durchaus deutschtümliches kritisches Bild des Veganismus, welches nicht der internationalen fachwissenschaftlichen Mehrheitsposition entspricht.

Umso zentraler ist es, dass die positive Stellungnahme des weltweit größten Fachverbandes für Ernährung ebenfalls die ihr gebührende Resonanz in Medien, Gesellschaft, Politik und Rechtsprechung erhält. Würde dies erreicht, dürfte es bereits bald zum Standardwissen gehören, dass eine ausgewogene vegane Ernährung auch für Schwangere, Stillende, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche ein gesunde und umweltverträgliche Ernährungsweise ist.

Wie lassen sich die Differenzen erklären?

Ideologische Basis der Unterschiede

Sicher reagieren US-amerikanische Kinder physiologisch nicht anders auf die vegane Ernährung als deutsche Kinder. Wie kann es also sein, dass derartig tiefgreifende Differenzen zwischen der bundesdeutschen Position der DGE und der Position der in den USA beheimateten Academy of Nutrition and Dietetics bestehen?

Es ist kaum anzunehmen, dass der weltweit größte ernährungswissenschaftliche Fachverband die Verbreitung von Informationen unterstützen und aktiv voranbringen würde, die zu einer Mangelernährung von Millionen Kindern führen könnten. Wird die in den Stellungnahmen der DGE und der Academy of Nutrition and Dietetics benannte Literatur herangezogen, zeigt sich entsprechend auch, dass es tatsächlich in der Literatur keine Hinweise auf Gesundheitsschäden durch eine vollwertige vegane Ernährung gibt. Entsprechend zitiert die DGE auch in ihrer Stellungnahme keine einzige Studie zur Gesundheit von vegan aufwachsenden Kindern und zeichnet in ihrer Zusammenfassung ein viel kritischeres Bild der veganen Ernährung als es aus dem Hauptteil ihrer Stellungnahme folgt.

Die Differenzen zwischen der DGE und der Academy of Nutrition and Dietetics liegen weniger in tatsächlichen Sachverhalten als in Meinungen und ideologischen Positionen. Dass es sich nicht um Tatsachen handelt, sondern um eine ideologisch ausgerichtete Meihnung, wird allerdings von der Öffentlichkeit noch wenig wahrgenommen.

Was sind die Fakten?

Wissenschaftlich unstrittig ist, dass Kinder bei veganer Ernährung gesund aufwachsen können und es bei einer gut geplanten veganen Ernährung keine Hinweise auf Schäden gibt. Darüberhinaus können vegan aufwachsende Kinder mit weniger Übergewicht und daraus folgenden Krankheiten rechnen. Es ist wahrscheinlich, dass vegan aufwachsende Kinder später seltener an Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen leiden werden. Diese sich in der Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics findenden Positionen werden von der DGE nicht bestritten.

Konservatismus als Motiv

Die DGE konzentriert sich in der Bewertung der veganen Ernährung auf den möglichen Fall einer einseitigen, nicht gut geplanten und ungesunden veganen Ernährung. Entsprechend gehören auch die Gefahren einer Unterlassung einer Sicherstellung der Versorgung mit Vitamin B12 zur zentralen Argumentation der DGE. Ausführlich wird über mögliche Schäden berichtet. Es unterbleibt der Hinweis, dass eine Versorgung mit Vitamin B12 sehr leicht gesichert werden kann und dass bei einer solchen Sicherung der Versorgung die Bedenken sofort gegenstandslos werden würden. Die Thematik des Vitamin B12 macht klare Ernährungsempfehlungen notwendig. Das Thema eignet sich aber ansonsten nicht, um etwas über die Angemessenheit oder Gesundheit der veganen Ernährung im Allgemeinen auszusagen, da nach einheiliger Meinung sämtlicher relevanter veganer Institutionen die Supplementierung von Vitamin B12 oder dessen Aufnahme durch angereicherte Lebensmittel notwendiger Bestandteil einer veganen Ernährung ist.

Im Hintergrund der Strategie der DGE steht aus meiner psychologischen Sichtweise eine konservativ motivierte Angst vor Neuem. Die DGE traut es offenbar der Bevölkerung nicht zu, die in Wirklichkeit sehr leicht zu handhabende Supplementierung mit Vitamin B12 zu beherrschen. Anstatt eine grundlegende Veränderung des Ernährungsverhaltens in Richtung vegan zu empfehlen (was aus ökologischen, gesundheitlichen und tierethischen Gründen wünschenswert wäre), bleibt die DGE lieber bei der (scheinbar) bewährten Mischkost mit Fleisch. Hierbei ignoriert die DGE aber die in der Realität auftretenden Probleme des Fleisch- und Tierproduktekonsums. So ist Übergewicht bei Kindern mittlerweile endemisch, ernährungsbedingte Erkrankungen nehmen zu und zudem hat die Nutztierhaltung destruktive Auswirkungen auf die Umwelt.

Die DGE begeht mit ihrer Angst vor Neuem, die sie zur Protagonistin einer Mischkost macht, gleichzeitig einen logischen Fehler:

Während die DGE Veganern die Supplementierung mit Vitamin B12 nicht zutraut und daher aus Angst weiter Mischkost empfiehlt, übersieht sie, dass Millionen Menschen eben mit dieser empfohlenen Mischkost nicht umgehen können. Die DGE will am Bewährten festhalten und merkt nicht, dass das scheinbar Bewährte nicht bewährt, sondern längst obsolet geworden ist. Entsprechend blendet die DGE die möglichen gesundheitlichen Vorteile der veganen Ernährung aus. Stattdessen stellt sie mögliche Probleme in den Vordergrund der Argumentation, die nicht aus einer veganen Ernährung an sich, sondern nur aus einer schlechten Umsetzung einer veganen Ernährung entstehen. Diese Probleme werden durch die DGE gleichzeitig übertrieben, indem nicht ausreichend deutlich darauf hingewiesen wird, dass die Probleme leicht auch innerhalb einer veganen Ernährung lösbar sind.

Paradoxerweise weigert sich die DGE aber im Fall der Mischkost, von der unstrittig millionenfach schlechten Umsetzung auf eine schlechte Kostform an sich zu schließen. Dies ist inkonsistent und weist darauf hin, dass die DGE die Gesundheitsauswirkungen der unterschiedlichen Kostformen nicht neutral beurteilt. Das Verhalten der DGE spricht im Gegenteil für ausgepräge ideologische Vorbehalte gegen eine vegane Ernährung, die die DGE eben nicht mit empirischen Forschungsbefunden begründen kann. Diese ideologischen Vorbehalte im Sinne einer konservativen Verweigerungshaltung dürften auch am ehesten erklären, warum die DGE sich in ihrer Zusammenfassung für die Medien über die im Hauptteil ihrer Stellungnahme berichteten wissenschaftlichen Fakten hinwegsetzt und dadurch ein verzerrtes Bild der veganen Ernährung und ihrer Potentiale vermittelt.

Veränderungsbereitschaft als Motiv

Die Academy of Nutrition and Dietetics geht letztlich von der gleichen Faktenbasis aus wie die DGE, aber sie bewertet sie aus einer reformerischen und veränderungsbereiten Perspektive. Entsprechend konzentiert sie sich nicht auf den Fall der veganen Mangelernährung, sondern auf den Fall der angemessenen veganen Ernährung. Ihre Empfehlungen leitet sie von diesem Fall ab und stellt folgerichtig fest, dass eine vegane Ernährung für Kinder und Erwachsene angemessen und gesund ist. Ebenfalls berücksichtigt sie auch die Interessen der Menschen in den Ländern der dritten Welt und künftiger Generationen und weist daher im Gegensatz zur DGE auf die Umweltvorteile der vegetarischen und veganen Ernährung hin.

Für die weitere Ausbreitung der veganen Lebensweise wird es wichtig sein, die ideologische Differenz, die zwischen der DGE und der Academy of Nutrition and Dietetics besteht, als solche kenntlich zu machen. Gelingt dies nicht, werden viele Menschen weiterhin irrtümlicherweise glauben, die DGE sehe eine vegane Ernährung kritisch, weil diese tatsächlich ungesund oder riskant sei.

Resümee

Die größte ernährungswissenschaftliche Vereinigung der Welt hat soeben eine Stellungnahme zur vegetarischen und veganen Ernährung vorgelegt, die zu einem hochgradig positiven Gesamtergebnis gelangt. Die vegane Ernährung, so wird ohne Einschränkung deutlich, ist eine Ernährungsweise, die für alle menschlichen Entwicklungs- und Altersstufen geeignet ist, die Gesundheit fördert und unsere Umwelt schont.

Veganer sollten mithelfen, die Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics bekannt zu machen und so den negativen öffentlichkeitswirksamen Auswirkungen der konservativen Position der DGE entgegenwirken.

Tatsache ist, dass Veganer sich auf eine ernährungswissenschaftliche Institution von Weltrang berufen können, um Ängste vor der veganen Ernährung abzubauen, die vegane Sache weiter voranzubringen und vegane Menschen, beispielsweise vegane Eltern, sowie den Veganismus insgesamt gegen unberechtigte Angriffe zu verteidigen.

Verfasser: Guido F. Gebauer

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