Was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung noch lernen muss

Was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung noch lernen muss

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ist in veganen Kreisen nicht besonders angesehen. Denn so wie die DGE einstmals Bedenken gegen die vegetarische Ernährung erhob, tritt sie heute in der Öffentlichkeitnoch immer gegen die vegane Ernährung von Schwangeren, Stillenden und Kindern auf und wendet sich damit gegen vegane Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren.

Beispielsweise formuliert Antje Gahl, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn, in einem Interview mit dem deutschen Vegetarier Bund (Vebu):

„Von veganer Kost ist aber Personen mit einem erhöhten Nährstoffbedarf wie Schwangere, Stillende oder Kinder vorsichtshalber abzuraten. Säuglingen und Kleinkindern ist ebenso von einer streng veganen Ernährung abzuraten, da eine ausreichende Deckung aller Nährstoffe nicht sichergestellt werden kann.“

Auch wenn die Formulierung „vorsichtshalber“ immerhin bereits vorsichtig ist und sich insofern von der Stellungnahme der DGE vom 11.05.2011 leicht abhebt, bleibt die Behauptung, dasseine ausreichende Deckung aller Nährstoffe bei Säuglingen und Kleinkindern über eine vegane Ernährung nicht möglich sei.

Der Position der DGE steht bekannterweise entgegen die Position der weltweit größten Organisation von Ernährungsexperten mit universitärer Ausbildung, der US amerikanischen Academy of Nutrition and Diatetics (früher American Diatetic Association), die in Übereinstimmung mit der Kanadischen Gesellschaft universitär ausgebildeter Ernährungsexperten, den Dietitians of Canada, zu dem Schluss gelangt, dass eine gut geplante vegane Ernährung für Menschen aller Altersstufen vom Säugling bis zum Greis und entsprechend auch für Schwangere, Stillende und Kleinkinder geeignet ist(siehe englisches Original oder deutsche Übersetzung durch den Vebu). Dieser Stellungnahme hat sich zudem die weltweit größte Vereinigung von Kinderärzten, die American Academy of Pediatrics (AAP)angeschlossen (siehe hier).

Beim Vergleich der widersprüchlichen Positionen der DGE und ihrer US-amerikanischen und kanadischen „Schwesterorganisationen“ fällt bereits im Literaturverzeichnis die bei weitem umfangreichere und aktuellere Rezeption des wissenschaftlichen Forschungsstandes durch die letzteren auf.Eine detaillierte Kritik der wissenschaftlichen Basis der DGE Position wurde von Martin Pätzold vorgelegt.

Erkennbar wird, dass die DGE sich insbesondere auf rein theoretische Erwägungen oder aber aufEinzelfallberichte oder Studien stützt, die eine Übertragung auf vegan lebende Menschen in keiner Weise erlauben.

Auffällig ist folgende Darstellung gleich zu Beginn der Stellungsnahme der DGE:

„Es gibt eine Vielzahl von Ausprägungen der veganen Ernährung, bei denen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen die Lebensmittelauswahl zum Teil (noch) weiter eingeschränkt wird. ...Ein Beispiel ist die makrobiotische Ernährungsweise. Diese sieht als Basis Vollkorngetreide vor, außerdem werden frisches Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen und geringe Mengen Obst verzehrt. Akzeptiert werden auch aus Algen hergestellte Produkte, fermentierte Sojaprodukte und je nach Ausgestaltung des makriobiotischen Prinzips in begrenztem Maße Fisch (womit die Ernährungsweise im eigentlichen Sinne nicht mehr vegan ist). Generell abgelehnt werden Fleisch, Nachtschattengewächse wie Kartoffeln, Tomaten und Paprika, Milch und Milchprodukte, Zucker, Konserven, Kaffee und Alkohol. Gleiches gilt für Früchte und Gemüse, die unter Verwendung von Mineraldünger oder Pflanzenschutzmitteln erzeugt worden sind. Auch Nahrung, die nicht aus der eigenen Lebensregion stammt oder nicht der Saison entspricht, wird abgelehnt. Die Makrobiotik ist eine äußerst fettarme Ernährung (ca. 10 Energie%). Als Fettquellen dienen lediglich kaltgepresste Öle sowie Nüsse und Samen“

Die Darstellung der DGE ist merkwürdig:

- Warum behandelt die DGE in einer Stellungnahme zur veganen Ernährung die makrobiotische Ernährung wesentlich ausführlicher als die vegane Ernährung?

- Warum wirft die DGE überhaupt mit der Makrobiotik und der veganen Ernährung zwei nicht miteinander in Verbindung stehende Ernährungsformen in einer Stellungnahme zusammen, die den Titel trägt “Vegane Ernährung: Nährstoffversorgung und Gesundheitsrisiken im Säuglings- und Kindesalter“?

- Warum geht die DGE so prominent auf religiöse Extremformen der veganen Ernährung ein, die in Europa keinerlei Rolle spielen?

- Warum stellt die DGE nicht zuerst den Forschungsstand zur veganen Ernährung im Allgemeinen im Sinne einer veganen Ernährung nach den Richtlinien, z.B. der „Vegan Society“, dar, um ggf. im Anschluss auf religiöse Extremformen einzugehen?

Liest man die Kritik von Martin Pätzold wird verständlich, dass es sicherlich kein Zufall ist, dass die DGE in ihrer Stellungnahme zur veganen Ernährung ausführlich auf nicht-vegane Ernährungsformen eingeht und gleichzeitig religiösen Extremformen ein so hohes Gewicht zuweist. Denn ein Großteil der durch die DGE ins Feld geführten empirisch fundierten Argumente gegen die vegane Ernährung beruhen in Wirklichkeit nicht auf der Untersuchung vegan lebender Personen im allgemeinen oder eigentlichen Sinne, sondern auf der Beobachtung von Personen, die Extremformen einer nicht-veganen oder veganen Ernährung mit dem Ausschluss zahlreicher pflanzlicher Lebensmittel praktizierten und zudem – obwohl dies als Notwendigkeit unstrittig ist – nicht auf ihre Vitamin B12 Zufuhr achteten!

Die Stellungnahme der DGE ist wissenschaftlich unredlich, weil sie es versäumt hat, darzulegen, dass ihre Schlussfolgerungen keine Gültigkeit haben für Menschen, die sich ausgewogen vegan ernähren und dabei entsprechend ebenfalls auf eine ausreichende Vitamin B12 Zufuhr achten.

Damit erklärt sich nun auch die zunächst erstaunliche Divergenz der Einschätzungen der Academy of Nutrition and Diatetic, der Dietitians of Canada[nbsp] und der American Academy of Pediatrics zu der Stellungnahme der DGE, da diese Einschätzungen nicht auf der Beobachtung nicht-veganer makrobiotischer Kostformen oder religiöser Extremvarianten beruhen, sondern auf der Berücksichtigung einer vollwertigen veganen Ernährung. Auf dieser Basis aber bestehen gegen eine vegane Ernährung von Schwangeren, Stillenden und Kleinkindern keine Bedenken.

Wie wird die DGE sich entwickeln?

Zu hoffen ist, dass es der DGE gelingt, über ihre Rolle zu reflektieren und dabei zu erkennen, wie inakzeptabel ihr gegenwärtiges Verhalten gegenüber vegan lebenden Eltern, aber damit auch gegenüber vegan lebenden Menschen im Allgemeinen ist. Anstatt vegan lebende Eltern zu beraten, wie sie ihre Kinder optimal vegan ernähren können- genau dies sehen die Academy of Nutrition and Diatetics, die Dietitians of Canada und die American Academy of Pediatrics übrigens u.a. als ihre Aufgaben an - fordert die DGE vegan lebende Eltern auf, gegen ihre ethischen Überzeugungen zu handeln und ihre Kinder mit Tierprodukten zu ernähren. Dies tut die DGE, obwohl es bei entsprechender Planung und Umsicht möglich ist, Kinder gesund vegan zu ernähren und weltweit immer mehr vegane Kinder aufwachsen, ohne dass in irgendeiner Weise ihre Entwicklung oder ihre Gesundheit beeinträchtigt werden würden.

Mit ihrer Stellungnahme betreibt die DGE eine Politik, die zu einer begründeten Entfremdung vegan lebender Menschen von der DGE führt, so dass diese die DGE derzeit nicht als Ansprechpartnerin für Fragen einer gesunden veganen Ernährung betrachten können. Damit verpasst die DGE die Möglichkeit, veganen Eltern kompetent zur Seite zu stehen, um eine gesunde vegane Ernährung ihrer Kinder zu gewährleisten und die tatsächlich bei jeder nicht gut geplanten Ernährungsform möglichen Nährstoffdefizite zu vermeiden.

Es ist zu erwarten, dass sich die DGE dem weltweiten Trend zu einer pflanzenbasierten, veganen Ernährung nicht dauerhaft wird in den Weg stellen können. Eine Veränderung der DGE Position in den kommenden Jahren erscheint insofern wahrscheinlich. Die DGE sollte lernen, ideologische Scheuklappen zu überwinden und nicht als Vormund, sondern als wissenschaftliche Expertin und Beraterin aufzutreten, um vegan lebende Eltern bei der gesunden veganen Ernährung ihrer Kinder zu unterstützen.

Um diesen Änderungsprozess zu beschleunigen ist es wünschenswert, wenn Veganer und Veganerinnen – trotz ihres berechtigten Ärgers – verstärkt in Kontakt mit der DGE treten, um die wechselseitigen Positionen zu klären und eine Annäherung zu erreichen. Für dieGesundheit vegan lebender Kinder, um der es vegan lebenden Eltern ebenso wie der DGE geht, könnte dies jedenfalls nur zum Vorteil sein.

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