Plusminus-Bericht zur veganen Ernährung: Verzerrung von Fakten und Expertenmeinungen

Plusminus-Bericht zur veganen Ernährung: Verzerrung von Fakten und Expertenmeinungen

Das ARD-Verbraucherjournal plusminushat soeben über vegane Ernährung berichtet. Schwerpunkt des Berichtes war die Frage „wie gesund vegan tatsächlich ist?“. Eine Analyse der Berichtes zeigt, dass dem Magazin grobe Fehler unterlaufen sind und dabei die tatsächliche Meinung einer zitierten Expertin durch einen falschen Kontext und eine einseitige Fragestellung nahezu in ihr Gegenteil verkehrt worden ist.

Plusminus-Bericht

Nach Angaben des Magazins würden Mediziner vor einer radikalen Ernährungsumstellung warnten. Tatsächlich sei sogar für sämtliche Ernährungsexperten das Risiko der Mangelernährung bei einer veganen Ernährung zu groß.

Eine der zitierten Ernährungsexperten ist Frau Prof. Yurdagül Zopf, Professorin für Ernährungsmedizin an der Uniklinik Erlangen. Zu ihr kämen immer häufiger Patienten, die krank seien, weil sie sich vegan ernährten. Zitat: Das häufigste Problem ist die Müdigkeit. Es können Schilddrüsenprobleme durch Jodmangel entstehen. Wir haben Patienten mit einer Eisenstoffwechselbstörung, das kann natürlich zu einer Immunschwäche führen, zur Reduktion von roten Blutkörperchen, all das führt zu einem Sauerstoffmangel.“

Nach Angaben des Berichts werde der Körper laut Prof. Zopf in vielfacher Weise geschwächt. Es könne auch zu Eiweißmangel kommen. Besonders schlimm sei ein Vitamin B12 Mangel, der zu schweren neurologischen Schäden führen könne. Abzulehnen sei eine vegane Kinderernährung. Zitat: Das ist auf jeden Fall eine Form der Körperverletzung, so würde ich es sehen. Wir haben diese ganz große Gefahr, dass Kinder, die vegan ernährt werden, Probleme entwickeln, die wir nicht mehr korrigieren können.“

Nachfragen an Prof. Zopf

Vegan.eu wird demnächst den gesamten Bericht von plusminusgenauer unter die Lupe nehmen. Zunächst haben wir uns aber an Frau Prof. Zopf gewandt. Wir wollten Näheres erfahren über die Hintergründe ihrer scheinbar strikten Ablehnung einer veganen Ernährung als ungesund und gefährlich, sowie ihrer offenbar geäußerten Ansicht, dass einevegane Kinderernährung Körperverletzung sei.

In ihrer ebenso prompten wie ausführlichen Antwort stellt Frau Prof. Zopf folgende Sachverhalte dar:

- Sie habe im Rahmen dieses Beitrages gezielt auf Fragen geantwortet und keine allgemeine Stellung zur veganen Ernährung geben sollen. Selbstverständlich könne sich jemand gesund vegan ernähren. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Popularität der veganen Ernährung sei es in den Fragen, zu denen sie sich habe positionieren sollen, vor allem um den Fall gegangen, wenn jemand es nicht richtig mache.

- Die Aussagen im Bericht bezögen sich auf Patienten, die sich nicht richtig ernährt hätten.Darum sei es ihr auch gegangen. Sie habe zum Ausdruck bringen wollen, dass man sich nicht einfach auf eine Welle schlagen sollte, ohne sich damit auszukennen. Dann entstünden Mangelerscheinungen. Wenn jemand hierunter Gewicht abnehme, sei das nicht gut. Wenn jemand sich adäquat damit beschäftige, sei die vegane Ernährung natürlich nicht ungesund.

- Die Aussage zum Eiweißmangel beziehe sich auf Patienten, die unkontrolliert tierische Produkte aus der Nahrungskette entzogen hätten.

- Sie stimme der Aussage zu, dass bei vegan lebenden Personen kein Vitamin B12 Mangel entstehe, wenn diese auf einen Ausgleich achteten. Es sei auch hier darum gegangen, darauf hinzuweisen.

- Mit ihrer Aussage zur Körperverletzung meine sie natürlich genau den Punkt, wenn jemand nicht auf einen Ausgleich achte.

- Jede Form der Ernährung, die nicht richtig durchgeführt wird, stelle eine Gefahr dar. Auch eine normale Mischkost mit zu viel Fleisch, Zucker etc. sei gesundheitlich schädlich.

- Sie habe eine hochselektive Gruppe von Menschen, die aus verschiedenen Gründen zu ihr kämen, vor allem Patienten mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Einige von diesen Patienten ernähren sich "vegan", könnten den Eiweißausgleich aufgrund von Intoleranzen gar nicht durchführen. Dann stellten sich junge Damen vor, die sich aus verschiedensten Gründen vegetarisch oder vegan ernähren und Probleme bekämen, weil sie plötzlich viel abgenommen hätten - aber, weil sie eben keine korrekte Ernährungsform durchgeführt hätten. Sie hätten einfach einiges aus der Nahrungskette entzogen. Frau Prof. Zopf habe insgesamt vielmehr betonen wollen, dass eine richtig durchgeführte Diät entscheidend wichtig sei.

Bewertung:

Die Berichterstattung des Verbrauchermagazin plusminus ist in diesem Fall unseriös, weil der Eindruck einer allgemein von einer veganen Ernährung ausgehenden Gesundheitsgefahr erzeugt wird, der sich jedoch nicht mit den Fakten deckt. Spezifisch weist der Bericht folgende Schwächen auf:

- Ein verzerrender Charakter wird bereits deutlich, wenn plusminus sich auf sämtliche Ernährungsexperten beruft, obwohl es doch fraglos zahlreiche Ernährungsexperten gibt, die einer veganen Ernährung aufgeschlossen oder sogar positiv gegenüberstehen. Genannt seien, um nur wenige Beispiele anzugeben, Prof. Leitzmann, Dr. Keller, Prof. Campbell oder Prof. Fraser. Aber auch die weltweit größte Vereinigung von akademischen Ernährungsexperten, die Academy of Nutrition and Dietetics, erklärt eine gute geplante vegane Ernährung für alle Altersstufen und Entwicklungsphasen des Menschen für geeignet (siehe hier). Selbst die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die nach wie vor einer vegane Kinderernährung kritisch gegenüber steht, hat mittlerweile keine Bedenken mehr gegen eine gut geplante vegane Ernährung für Erwachsene (siehe hier eine Auseinandersetzung mit der Position der DGE). Es kann also entgegen der Darstellung durch plusminus keine Rede davon sein, dass für sämtliche Experten das Risiko einer Mangelernährung bei veganer Kost zu groß sei. (Anmerkung vom 08.05.2014: Zwischenzeitlich hat plusminus die vorherige Behauptung, dass für alle Experten bei einer vegane Ernährung die Gefahr einer Mangelernährung zu groß sei, kommentarlos von seiner Internetseite entfernt.)

- Der Bericht behauptet sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie gesund die vegane Ernährung tatsächlich sei. Dieser Frage ist der Bericht jedoch in Wirklichkeit nicht nachgegangen, da er sich mit vorliegenden repräsentativen Untersuchungen, die die Gesundheit vegan lebender Menschen zum Thema hatten, gar nicht beschäftigte. Vielmehr - dies wird auch noch einmal in der Antwort von Frau Prof. Zopf deutlich - handelt der Bericht vorwiegend über mögliche Gesundheitsgefahren, die sich dann ergeben, wenn eine vegane Ernährung nicht richtig umgesetzt wird. Dies ist ein essentieller Unterschied, den plusminus aber an keiner Stelle gegenüber Zuschauern und Lesern transparent gemacht hat. So kam im Bericht dann auch die zentrale Motivation von Prof. Zapf nicht zum Tragen, nämlich darzulegen, dass eine jede Ernährung, die nicht richtig durchgeführt wird, eine Gefahr darstellt und dass dies auch die in letzter Zeit in Mode kommende vegane Ernährung betrifft.

- Frau Prof. Zopf stellt nicht die Behauptung aufgestellt, dass eine vegane Ernährung allgemein zu Krankheiten führe, sondern sie berichtet von kranken Patienten, die wegen ihrer Krankheit zu ihr kommen und von denen sich ein Teil vegan ernährt. Es handelt sich also – wie von Frau Prof. Zopf richtig dargelegt - um eine hochselektive Stichprobe, aus der keine Schlüsse auf die Allgemeinpopulation gezogen werden können. Bei diesen Patienten scheint nach den Angaben von Frau Prof. Zopf vorwiegend eine fehlerhafte vegane Ernährung in Form des unkontrollierten Entzuges von tierischen Lebensmitteln zu Problemen geführt zu haben. Selbstverständlich befinden sich weder ausschließlich noch überwiegend Veganer mit ernährungsbedingten Problemen in Behandlung von Frau Prof. Zopf, sondern ebenso Vegetarier und Mischköstler.

- Es ist eine unstrittige Tatsache, dass Vitamin B12 nur über Lebensmittel tierischer Herkunft hinreichend zuverlässig aufgenommen werden kann. Entsprechend weist die Vegan Society seit Jahrzehnten auf die Notwendigkeit eines Ausgleiches hin. Dieser Ausgleich kann und muss über eine direkte Supplementierung mit Vitamin B12 oder durch Konsum mit Vitamin B12 angereicherter Nahrungsmittel erfolgen. Wird auf diesen Ausgleich geachtet tritt kein Vitamin B12 Mangel auf. Dieser Aussage stimmt auch Frau Prof. Zopf zu, sie wurde auch kürzlich durch eine experimentelle Studie über einen Zeitraum von fünf Jahren bestätigt (siehe hier). Zu einer gut geplanten veganen Ernährung gehört der Vitamin B12 obligatorisch Ausgleich dazu. Nur eine fehlerhafte vegane Ernährung, die diesen Ausgleich nicht vornimmt, riskiert einen Vitamin B12 Mangel und daraus ggf. folgende Gesundheitsschäden. Plusminus hat es verpasst, diese Sachlage dem noch nicht informierten Zuhörer oder Leser deutlich zu machen.

- Frau Prof. Zopf vertritt nicht die Position, dass Eltern, die ihre Kinder gut geplant vegan ernähren eine Körperverletzung begehen. Sie vertritt allerdings die Auffassung, dass Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren und auf keinen Vitamin B12 Ausgleich achten, eine Körperverletzung begehen. Dem stimmen wir zu! Es ist unglücklich, dass der Eindruck entsteht, als ob eine vegane Kinderernährung im Allgemeinen eine Körperverletzung sei. Dieser Eindruck ist sachlich falsch, wenn Eltern den Empfehlungen der Academy of Nutrition and Dietetics folgen. Es besteht die Gefahr, dass derartige aus dem Kontext gerissene Pauschalurteile sich verfestigen und zu einer Diskriminierung, Diffamierung und Ausgrenzung veganer Familien führen. Hierfür hat der Bericht von plusminus leider in der Gesamtbetrachtung einen entsprechend destruktiven Beitrag geleistet.

Unser Resüme:

Die dargestellten gravierenden Verzerrungen in der plusminus Berichterstattung über die vegane Ernährungsweise sind im Übrigen nicht nur deshalb bedauerlich, weil sie fehlerhafte Urteile über die vegane Lebensweise verbreiten, sondern auch deshalb, weil so die Möglichkeit zu einer durchaus notwendigen Diskussion über die Verbesserung der veganen Ernährungspraxis verpasst wird. Sachlage ist nämlich beispielsweise, dass nach vorliegenden Studien nach wie vor viele Veganer auf keinen ausreichenden Vitamin B12 Ausgleich achten (siehe hier), womit sie gesundheitlichen Vorteilen der vegane Ernährung entgegenwirken und stattdessen die eigene Gesundheit gefährden. Außerdem gibt es tatsächlich die Fraktion der sogenannten „Puddingveganer“, die sich tierfrei vorwiegend mit Süßem und Fertigprodukten ernährt und dadurch sicherlich die Gesundheitspotentiale einer gut geplanten veganen Ernährung nicht entfaltet.

Ein so offensichtlich einseitiger und fehlerhafter Bericht wie der von plusminus wird diejenigen, die sich ungesund vegan ernähren, aber sicherlich weder zum Nachdenken noch zu Verhaltensänderungen bewegen können. Stattdessen wird durch die unqualifizierte Abqualifikation der veganen Ernährung vor allem das gute Gewissen des Fleischessers gefördert, mit seinem ökologisch unverträglichen, zu vermeidbaremLeid von Tieren führenden, die weltweite Ernährungssicherheit senkenden und letztlich auch gesundheitsschädlichem Verhalten fortzufahren.

Note für den plusminus-Bericht: Mangelhaft!

Anmerkung:Quellen für Empfehlungen für eine gesunde vegane Ernährung finden sich beispielsweise hier und hier.

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