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Schweiz: Tierschützerin wird Einbürgerung verweigert

Schweiz: Tierschützerin wird Einbürgerung verweigert

Soeben hat die Gemeinde Gipf-Oberfrick im Kanton Aargau in einer Bürgerversammlung einer Tierschützerin zum zweiten Mal die Einbürgerung verwehrt (siehe Presseartikel hier, hier, hier und hier).

Nancy Holten kam im Alter von 8 Jahren in die Schweiz. Sie stammt ursprünglich aus Holland und erfüllt alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung in die Schweiz.

Das Vergehen der Nancy Holten:

Sie ist Vegetarierin, lebt fast vegan und setzt sich in der Öffentlichkeit gegen Tiere im Zirkus, Pferderennen, Schweinerennen und gegen Kuhglocken mit einem Gewicht von fünf Kilogramm ein, die den Tieren Schmerzen im Nacken bereiten.

Für 203 von 262 abstimmungsberechtigten Bürgern war dies Grund genug, um Nancy Holten – übrigens zum zweiten mal - die Einbürgerung zu verwehren. Nancy Holten respektiere die Schweizer Traditionen nicht. Sie sei daher nicht integriert. Sie solle doch dorthin zurück, wo sie hergekommen sei. Es gründete sich sogar eine Facebook-Gruppe namens "Nancy out! – Den Schweizern zuliebe", die offenbar erst nach rechtlichen Schritten geschlossen wurde.

Tradition, Fleisch und Fremdenfeindschaft

Wo Tradition zu schützen ist, da verhallen allzu oft andere Argumente. Dies kennen wir auch aus Deutschland. So setzen sich die AfD (siehe hier und hier), Ernährungsminister Christian Schmidt von der CSU uns sogar Bundeskanzlerin Merkel dafür ein, dass regelmäßig deutsches Schweinefleisch in Mensen und Kantinen serviert werde. Schweinefleisch stellt nach diesen Auffassungen eine deutsche Tradition dar, die es zu bewahren gelte. Der millionenfache Tod von Tieren, die in der Regel vor ihrem Tod einem Erstickungskampf in beißendem CO2-Gas ausgesetzt werden, wird ausgeblendet. So wie bei der Lederhose im Trachtenumzug das lebende Tier nicht mehr gesehen wird.

Das Beispiel der Schweizer Gemeinde Gipf-Oberfrick zeigt übrigens gleichzeitig, wie schnell Menschen zum Fremden und Integrationshindernis erklärt werden können. „Wer unsere Traditionen nicht respektiert, der hat hier nichts zu suchen“. Dieser Stammtisch-Slogan kann sich gegen alle wenden, die in irgendeinem Merkmal abweichen, ob bei Haarschnitt, Bekleidung, Religion oder Ernährung. Sozialpsychologische Experimente haben sogar gezeigt, dass es für das Entstehen von Ausgrenzung und Vorurteilen bereits genügt, Menschen per Zufall in Gruppen einzuteilen.

Veganer gehören mit zu denjenigen, die von Prozessen der Ausgrenzung am schnellsten betroffen sein können, weil ihr Lebensstil sichtbar von dem Lebensstil der Bevölkerungs-Mehrheit abweicht. Dass es nun in der Schweiz eine Tierschützerin und fast vegan lebende Vegetarierin getroffen hat, ist insofern nicht überraschend.

Veganer sind nach vorliegenden Umfragen und wissenschaftlichen Studien häufig Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt. Vegane Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren, sind von solchen Angriffen besonders oft betroffen. In Italien haben Rechtspopulisten gar einen Gesetzentwurf eingebracht, der solche Eltern künftig zu Kriminellen erklären würde. Bei Spiegel-Online ist in diesen Tagen ein Artikel der AutorinJuno Vai erschienen, der vegane Eltern letztlich zu Egoisten erklärt, die die Gesundheit ihrer Kinder gefährdeten, um Aufmerksamkeit für sich selbst zu erhalten. Dies ähnelt dem, wie andere über Schwarze, Juden oder ganz aktuell Nord-Afrikaner sprechen, wobei aktuell übrigens mittlerweile öffentlichkeitswirksam Menschen selbst dann zu Nord-Afrikanern erklärt werden, wenn sie gar nicht aus Afrika stammen. Vorurteile halten einer Faktenprüfung nicht stand, auch dies ist ein typisches Merkmal.

Die vegane Lebensweise wird von Fleischessern bewusst oder unbewusst als ein Angriff auf die eigene Lebensweise gewertet. Der Veganer am Nachbartisch macht allein durch seine Anwesenheit deutlich, dass das Schnitzel auf dem Teller ein Tötungsprodukt ist und dass wir dieses Schnitzel nicht brauchen, um uns zu ernähren. Dies führt zu kognitiver Dissonanz bei den fleischessenden Personen. Um sich selbst hiergegen zu schützen, wird mit der Abwertung der veganen Personen und des Veganismus insgesamt reagiert.

Studien zeigen, dass die Ablehnung des Veganismus besonders stark bei solchen Menschen vertreten ist, die sich als konservativ verstehen und die Bewahrung von Traditionen für wichtig halten. Interessanterweise sind dabei Diskriminierung von Ausländern, Homosexuellen und vegan lebenden Personen miteinander korreliert. Diejenigen, die also beispielsweise Ausländer diskriminieren, neigen in der Regel auch stärker zur Diskriminierung von Veganern. In diesem Sinne befinden sich vegan lebende Menschen im gleichen Boot mit anderen Minderheiten und können von der Mehrheit schnell als Quelle von Bedrohung der Mehrheits-Kultur wahrgenommen werden.

Eine vegane Mehrheits-Gesellschaft und Kultur gibt es nicht und hat es nie gegeben. Die vegane Lebensweise steht nicht für die Rückkehr zu einer alten Ordnung oder die Bewahrung einer bestehenden Ordnung. Vielmehr strebt der Veganismus die Überwindung der durch ihn als tiefgreifend gewalttätig und Ressourcen vergeudend bewerteten Nutztierhaltung und der mit dieser verbundenen Traditionen an – von der Geflügel-Ausstellung bis hin zu Schweinerennen und Stierkampf. Auch außerhalb der Tierhaltung liegende Nutzungen von Tieren sollen überwunden werden, von der Jagd bis zum Angeln. Dass dies aus konservativer Sicht als Angriff auf Traditionen verstanden wird, ist nicht erstaunlich, auch wenn die Motivation nicht in einer Schädigung, sondern in der Herstellung von Empathie und Menschlichkeit liegt.

Die Verweigerung der Einbürgerung von Nancy Holten ist die zutiefst konservative Reaktion einer Gemeinde, deren Traditionen durch Nancy Holten aus Tierschutzgründen in Frage gestellt werden. Konservatismus ist dabei aus psychologischer Sichtweise eine Angst motivierte Grundhaltung, die an Altem festhalten oder zu diesem zurückkehren möchte, weil sie Veränderungen fürchtet.

Wie kann aus veganer Perspektive hierauf reagiert werden?

Veränderungen werden insbesondere dann gefürchtet, wenn Verluste oder Schäden erwartet werden. Mögliche Verluste oder Schäden wären hoher Aufwand, Verlust von Geschmack oder Gesundheitsgefährdungen. Um die Menschen für die veganen Sache zu gewinnen, ist die Aufklärung über das Tierleid fraglos wichtig. Zusätzlich ist es aber ebenfalls von zentraler Bedeutsamkeit, die leichte Umsetzbarkeit einer gesunden und schmackhaften veganen Ernährung für Menschen aller Altersstufen immer wieder mit in den Fokus der Aufklärung zu rücken. Denn sonst besteht die Gefahr, dass Menschen aus Angst vor Verlust oder Schäden lieber ihre Augen vor dem Tierleid verschließen als sich für die vegane Sache zu öffnen. Genau dies hat die Gemeinde Gipf-Oberfrick im Kanton Aargau in der Schweiz uns soeben noch einmal eindringlich vor Augen geführt, als sie Nancy Holten zum Integrationshindernis erklärte.

Nancy Holten wird übrigens wohl doch noch per Erlass des Regierungsrats eingebürgert werden. Die Tradition der Nutzung von Tieren ist fest verwurzelt und wird von Konservativen als Teil der kulturellen Identität erlebt. Mit ihrem Einsatz für Tierschutz und für eine fleischfreie Ernährung wird Nancy Holten daher vermutlich weiterhin für ihre Gemeinde ein Ärgernis bleiben.

Gegenwind gegen veganen Trend

Der aktuelle europaweite Erfolg rechtspopulistischer Parteien und Strömungen ist auch für den veganen Trend der letzten Jahre ein deutlicher Hinweis, dass Gegenwind aufzieht. Essgewohnheiten gehören mit zum Kern dessen, was als Tradition erlebt wird. Die Verteidiger der „alten Ordnung“ sehen sich auf den Plan gerufen, um ihre Traditionen und Gepflogenheiten gegen alle tatsächlichen oder vermeintlichen Widerstände zu verteidigen. Die Verteidiger dieser Traditionen treten martialisch auf – ob in Spanien bei der Verteidigung des Stierkampfes, in der Schweiz bei der Verteidigung der Kuhglocken oder in Deutschland bei der Verteidigung des Schweinefleisches - aber im Hintergrund stehen Angst vor Veränderung und Vorurteile.

Was soeben Nancy Holten in Gipf-Oberfrick im Kanton Aargau in der Schweiz widerfahren ist, lässt keinen Zweifel daran entstehen, dass sich vegan lebende Menschen auf einen weiten Weg vorbereiten müssen , wenn sie für eine Zukunft einstehen, die Tierausbeutung und Fleischkonsum überwinden soll.

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