Warum essen Menschen Fleisch und was kann dagegen getan werden?

Warum essen Menschen Fleisch und was kann dagegen getan werden?

Warum essen Menschen weiterhin Fleisch, obwohl sich immer mehr herumspricht, dass der Konsum von Fleisch gesundheitlich nicht notwendig oder sogar schädlich ist, die Fleischproduktion die Umwelt stark belastet und zudem Tieren sehr viel Leid zufügt?

Der Wechsel zu einer pflanzenbasierten und im besten Fall veganen Ernährung könnte diesen Missständen entgegenwirken und würde gleichzeitig nach vorliegenden Studien die weltweite Ernährungssicherheit verbessern. Aber bisher sind nur wenige Menschen bereit, diesen Schritt zu tun. Der Fleischkonsum ist in den westlichen Industrieländern weiterhin auf sehr hohem Niveau und höchstens leicht rückläufig, in den Entwicklungsländern steigt er sogar rapide. Der Anteil vegetarisch lebender Menschen ist in allen Ländern der Welt, mit der einzigen Ausnahme Indien, gering, der Anteil vegan lebender Menschen ist sogar sehr gering.

Was kann getan werden, um dies zu ändern?

Ein Forscherteam von der Universität Lissabon in Portugal hat nun untersucht, warum Menschen eigentlich Fleisch essen und wieso die Bereitschaft bei den meisten Menschen so gering ist, den Fleischkonsum zu beenden oder mindestens substantiell zu reduzieren. Ebenfalls haben die Wissenschaftler untersucht, was Vegetarier und Veganer von Fleischessern unterscheidet.

Zunächst wurden von 410 Personen qualitative Daten erhoben, um Hypothesen darüber abzuleiten, was Menschen mit Fleischkonsum verbinden. Auf dieser Grundlage entwickelten die Forscher dann einen Fragebogen, den sie 2013 Personen zur Beantwortung vorgaben. Die Antworten wurden statistisch ausgewertet, wobei auch ermittelt wurde, inwiefern bestimmte Antworten die Bereitschaft auf Fleischreduktion oder -verzicht erhöhen oder erniedrigen und inwiefern sich Fleischesser von Vegetariern oder Veganern in ihren Antworten unterscheiden. Im Anschluss wurden die Befunde noch einmal an einer anderen Stichprobe von 318 Personen überprüft.

Die Studie führte zu folgenden Hauptergebnissen:

  • Einstellungen und Erlebnisweisen bezüglich Fleischkonsum lassen sich in vier Facetten zusammenfassen: Hedonismus bezieht sich auf die positiven geschmacklichen Erlebnisse, die mit Fleischkonsum verbunden sind (Ein gutes Steak ist unvergleichlich). Berechtigung bezieht sich auf ein angenommenes Recht, Fleisch zu essen (Jeder Mensch hat das Recht, Fleisch zu essen). Abhängigkeit bezieht sich auf die Annahme, dass es geradezu unmöglich sei, auf Fleisch zu verzichten (Ich würde mich schwach fühlen, wenn ich kein Fleisch äße). Affinität bezieht sich auf ein Einstellungsset, welches die negativen Folgen von Fleischkonsum für Umwelt und Tiere sowie das eigene schlechte Gewissen leugnet oder ausblendet (Verneinung der Aussage: Fleischkonsum ist respektlos gegenüber dem Leben und der Umwelt).

  • Die vier Facetten stehen miteinander in Zusammenhang und bilden den Gesamtwert „Bindung an das Fleisch“. Je höher dieser Wert bei einer Einzelperson ausgeprägt ist, desto zentraler ist Fleisch als Nahrungsmittel im Einstellungssystem der entsprechenden Person verankert.

  • Vegetarier und Veganer haben geringere Werte bei allen vier Facetten und beim Gesamtwert. Vegetarier und Veganer zeigen damit ein Einstellungssystem zum Fleischkonsum, welches sie deutlich von Fleischessern unterscheidet.

  • Zwischen Vegetariern und Veganern zeigen sich keine signifikanten Unterschiede. Bezüglich des Konsums von Fleisch liegt also eine große Ähnlichkeit zwischen vegetarisch und vegan lebenden Personen vor.

  • Frauen weisen in allen vier Facetten und im Gesamtwert geringere Werte auf als Männer. Dies korrespondiert mit der Sachlage, dass Frauen im Durchschnitt weniger Fleisch essen als Männer und dass vegetarisch und vegan lebende Personen häufiger weiblich als männlich sind.

  • Personen, die in besonderes hohe Ausmaß eine Überlegenheit des Menschen gegenüber anderen Tieren betonen, erreichen in allen vier Facetten und im Gesamtwert höhere Werte.

  • Personen, die eine höhere allgemeine Bereitschaft und auch eine höhere konkrete Intention zum Ersatz von Fleisch durch pflanzliche Nahrung angeben, erreichen geringere Werte in allen vier Facetten und im Gesamtwert.

Was sind die Anwendungsimplikationen?

Die Studie zeigt, dass in der Allgemeinbevölkerung ein Einstellungsmuster vorherrscht, gemäß dessen Menschen sich das Recht zusprechen, Fleisch zu essen, seinen guten Geschmack betonen, von einer Alternativlosigkeit ausgehen und die negativen Folgewirkungen auf Umwelt und Tiere sowie das eigene Gewissen leugnen oder ausblenden. Mehrheitlich ist insofern von einer ausgeprägten Bindung an das Fleisch als Nahrungsmitte auszugehen. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass vegetarisch oder vegan lebende Menschen sich von diesem Einstellungsmuster distanzieren. Je stärker die Distanzierung, desto eher sind Menschen bereit, auf Fleisch zu verzichten.

Die Sachlage, dass es bisher nicht gelungen ist, den Fleischkonsum in einer Gesellschaft substantiell zu reduzieren, hängt auf der Einstellungsebene vermutlich damit zusammen, dass keine ausreichende Lockerung der durch die einzelnen Gesellschaftsmitglieder erlebten Bindung an das Fleisch gelungen ist.

Die argumentative Widerlegung der einzelnen Facetten der vorherrschenden Bindung an das Fleisch ergibt sich aus der Studie als Ansatzpunkt, um Veränderungen zu erreichen. Für die Ausbreitung einer pflanzenbasierten und im besten Fall rein veganen Ernährung ergeben sich aus den Studienbefunden entsprechend vorwiegend folgende mögliche Strategien:

  • Aufzeigen, dass pflanzliche Alternativen schmackhaft sind und in allen hedonistischen Merkmalen mit den Tierprodukten problemlos konkurrieren können. In diesem Bereich sind in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht worden. Je mehr entsprechende pflanzliche Produkte verfügbar werden, desto eher werden Menschen, deren geschmackliche Qualitäten zu schätzen lernen.

  • Konsequente Bewusstmachung der negativen Folgen des Fleischkonsums für Umwelt und Tiere. Dabei wird es auch um die Widerlegung ob Beruhigungsstrategien, wie „Bio-Fleisch“ oder „artgerechte Haltung“ gehen müssen. Denn der Verweis auf Bio-Fleisch oder artgerechte Haltung hilft, die Erlaubnis zum Fleischkonsum aufrechtzuerhalten. Dies gilt selbst für Personen, die nicht immer, aber nur manchmal Bio-Fleisch verzehren. Allein dadurch, dass ein bestimmter Fleischkonsum weiterhin als gerechtfertigt gilt, wird auch die Aufrechterhaltung des allgemeinen Fleischkonsums gefördert.

  • Herausstellung, dass Fleischkonsum für niemanden notwendig ist und man sich auch ohne Konsum von Fleisch sehr gut, wenn nicht besser fühlen kann. Stärkung der Zuversicht, es zu schaffen sich aus den Fängen des Fleischkonsums zu lösen. Es ist wichtig, Menschen die auch für sie selbst umsetzbare Alternative aufzuzeigen und ihnen dann konkrete Hilfestellung zu leisten, aus dem Fleischkonsum auszusteigen.

  • Widerlegung der Zuschreibung des Rechts zum Fleischkonsum auf der Grundlage der Veränderung von kognitiven Verzerrungen und Leugnungen, aus denen sich dieses scheinbare Recht ergibt.

Die Studie bezog sich ausschließlich auf Fleisch, was auch vermutlich erklärt, warum sich keine Unterschiede zwischen vegetarisch und vegan lebenden Personen zeigten. Die Ergebnissen lassen sich aber zwanglos auf Tierprodukte im allgemeinen übertragen. Wenn wir eine vegane Gesellschaft erreichen wollen, wird es wichtig sein, die individuell bei den einzelnen Menschen verankerte Bindung an Tierprodukte als Nahrungsmittel abzubauen, indem wir sie von den geschmacklichen Qualitäten veganer Produkte überzeugen, das Recht zum Konsum von Tiere und Tierprodukten begründet in Zweifel ziehen, Hilfestellung bei der Überwindung der subjektiv erlebten Abhängigkeit von Tierprodukten leisten und die negativen Folgen des Konsums von Tierprodukten für Umwelt und Tiere konsequent in den Fokus zu rücken.

Menschen neigen dazu, sich durch Ausblenden oder Schönreden (kognitive Verzerrungen) die Fortsetzung von Fehlverhalten zu erleichtern. Es ist daher für die vegane Sache notwendig, gut sichtbar aufzutreten, um diesen Ausblendungs- und Leugnungsprozessen keinen Raum zu geben. Der Schwerpunkt sollte im Umgang mit dem einzelnen Menschen auf der positiven Unterstützung und Verstärkung seiner Bereitschaften und Intentionen zur Verhaltensänderung liegen, ohne dass aber auf halben Weg (z.B. Fleischreduktion) stehengeblieben werden sollte. Das Ausmaß der beim Einzelmenschen verankerten Bindung an das Fleisch und an Tierprodukte im allgemeinen ist dabei derzeit noch so stark und generalisiert, dass sich Veganer einen langen Atem haben müssen, um ihr Ziel individueller Veränderungen und erst Recht das Ziel der veganen Gesellschaft im Auge zu behalten und zu erreichen. Nicht vergessen sollten wir dabei, dass viele kleine Schritte Berge versetzen können.

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