Die Vegan-Verwirrungen der Sarah Wiener

Die Vegan-Verwirrungen der Sarah Wiener

Sarah Wiener beklagt in einem im enorm-magazin veröffentlichten Essay, dass weite Teile der Bevölkerung den richtigen Bezug zum Essen verloren hätten. Wir dächten nicht darüber nach, was wir äßen, sondern stopften uns voll mit hochverarbeitetem Fast Food. Die größte Sünde in den Industrieländern sei aber der hohe Fleischkonsum, oft aus tierquälerischer Haltung. Die Würde der Tiere werde mit Füßen getreten, die Umwelt massiv geschädigt und die globale Ernährungsunsicherheit weiter zu gespitzt.

So weit, so richtig und so schlimm. Doch im Folgenden eröffnet Sarah Wiener - in Anbetracht ihrer vorherigen Worte durchaus überraschend - ein Plädoyer gegen die vegane Ernährung, welches auf Irrtümern beruht, die wir in diesem Artikel korrigieren.

Aussagen von Sarah Wiener in kursiv und Korrektur durch vegan.eu nicht-kursiv:

- Die vegane Ernährung rette nicht die Welt, garantiere nicht einmal eine gesunde Ernährung. Vegane Ernährung sei keine Lösung des Grundproblems! So mancher Veganer baue sich da schlicht eine Parallelwelt auf. Er lasse zwar keine Tiere melken, schreddern oder schlachten, verbessere aber durch seinen Verzicht nichts an den üblen Verhältnissen in der Nahrungsmittelproduktion.

Zahlreiche wissenschaftliche Studien (siehe Belege hier) zeigen, dass die vegane Ernährung zu den geringsten negativen Auswirkungen auf die Umwelt führt. Weil die Produkten von tierischen Produkten, auch unter Öko-Bedingungen, ein enorm energie- und ressourcenverbrauchender Prozess ist, weist die vegane Ernährung die beste Ökobilanz auf. Dies gilt auch unter Einrechnung aller Transportwege. Die Studien sind hier übereinstimmend, wobei sich zeigt, dass eine vegane Ernährung mit Bio-Produkten die umweltverträglichste Ernährung ist, gefolgt von einer veganen Ernährung mit konventionellen Produkten, gefolgt von einer vegetarischen Ernährung mit Bio-Produkten, gefolgt von einer vegetarischen Ernährung auf konventioneller Basis – erst danach kommt die Mischkost auf Bio-Basis, gefolgt von einer Mischkost auf Basis mit konventionellen Produkten.

Die vegane Ernährung leistet so einen bei weitem größeren Beitrag für den Erhalt der Umwelt als die biologische Landwirtschaft, wobei die Kombination beider aber das Beste ist, was wir auch bei vegan.eu vertreten.

Eines der Hauptprobleme der Landwirtschaft ist der Landverbrauch, der oftmals mit Rodungen und Wüstenbildungen einhergeht. Die Nutztierhaltung belegt derzeit 2/3 der weltweit genutzten landwirtschaftlichen Flächen. Die Bio-Tierhaltung benötigt nicht weniger, sondern mehr Flächen. Tatsächlich zeigen Studien, dass gerade die Bio-Nutztierhaltung letztlich nicht ökologisch verträglicher ist als die konventionelle Nutztierhaltung (siehe kritische Artikel zur Bio-Nutztierhaltung hier). Denn alle von den Tiere freigesetzten Treibhausgasemissionen bleiben aufrechterhalten oder nehmen mit wachsender Lebensdauer sogar zu. Außerdem benötigen Bio-Tiere mehr Flächen, wo dann keine Wälder wachsen können, sondern ökologisch bei weitem weniger wertvolle Weiden entstehen. Auch Bio-Tiere werden im übrigen zusätzlich zu dem, was sie auf Weiden finden, mit pflanzlicher Nahrung gefüttert. Deren Anbau verschlingt Ressourcen und erhöht erneut den Landverbrauch. Zudem wird so wertvolle pflanzliche Nahrung der menschlichen Ernährung entzogen. Es ist eine Mär, dass Nutztiere ausschließlich Reste konsumierten, zumal ein Großteil dieser Reste ebenfalls für die menschliche Ernährung verwandt werden könnte und sollte. Auch in der Bio-Landwirtschaft werden enormen Mengen an Pflanzen nur deshalb angebaut, um die Nutztiere zu ernähren.

Die allergrößten ökologischen Probleme der Landwirtschaft resultieren aus der Nutztierhaltung. Wenn auf diese verzichtet würde, würden Landflächen frei, die der Natur übergeben werden könnten und Treibhausgasemissionen würden abnehmen. Die vegane Ernährung setzt an dem Grundproblem an, indem sie den stärksten bekannten Faktor der Umweltunverträglichkeit in der Landwirtschaft angeht. Demgegenüber wäre ein alleiniger Rückgriff auf die Bio-Landwirtschaft nur eine leichte bis moderate Reduktion von Symptomen, weil die Bio-Nutztierhaltung selbst eine maßgeblicher Schadfaktor ist.

Sarah Wiener liefert keine gesundheitsbezogenen Argumente, die über die Pauschalaussage hinausgingen, eine vegane Ernährung garantiere keine gesunde Ernährung. Damit hat sie Recht. Wer sich vegan von Zucker ernährt, ernährt sich gewiss nicht gesund. Aber es ist nicht mehr als eine Binsenweisheit, dass man sich immer ungesund ernähren kann, wenn man dies wünscht, egal, welche Nahrungsmittel weggelassen werden oder nicht. Was die wissenschaftlichen Studien zeigen, ist, dass eine gut geplante Ernährung sehr gesund ist und vielen der großen Zivilisationserkrankungen, wie Diabetes oder Krebs, entgegenwirkt (siehe Belege hier)

Im Übrigen rettet eine vegane Ernährung allein nicht unbedingt die Welt – auch da hat Sarah Wiener Recht. Aber nach allen vorliegenden Befunden stellt eine vegane Ernährung die wirksamste mögliche Strategie dar, um der grassierenden Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten entgegenzuwirken. Sarah Wiener hat es verpasst, auf diesen Sachverhalt hinzuweisen. Ihre Stellungnahme scheint mehr auf einem Bauchgefühl zu beruhen, anstatt auf einer fundierten Analyse der tatsächlichen Auswirkungen der veganen Ernährung auf die Umwelt.

- Vegan zu leben, fördere weder die Nachfrage nach Produkten aus einer anständigen Tierhaltung noch die nach natürlichen, ökologisch erzeugten Lebensmitteln aus der eigenen Region.

In der Tat fördert eine vegane Ernährung nicht die Nachfrage nach Produkten aus der Tierhaltung. Im Gegenteil, führt eine vegane Ernährung dazu, dass die Nachfrage nach Produkten, die auf Tieren beruhen, sinkt. Eben dies ist das Ziel der veganen Ernährung!

Eine vegane Ernährung fördert auch nicht unbedingt die Nachfrage nach ökologisch produzierten Produkten aus der eigenen Region, auch wenn Veganer sich überproportional mit Lebensmitteln aus der biologischen Landwirtschaft ernähren. Es gibt jedoch ebenso Veganer, die dies nicht tun. Das wesentliche ist, dass eine vegane Ernährung bei weitem umweltverträglicher ist, selbst wenn sie sich nicht auf die biologische Landwirtschaft begründet. So wünschenswert es ist, dass verstärkt Bio-Produkte produziert und konsumiert werden, so verfehlt wäre es, für bio auf vegan zu verzichten. Vegan ist der stärkste mögliche ernährungsbezogene Faktor, um die Umwelt zu schonen, die biologische Landwirtschaft ist ebenfalls ein Faktor, aber nur ein viel kleinerer.

Ebenso ist das Regionalitäts-Argument nicht immer überzeugend. Es liegen Befunde vor, die zeigen, dass eine Ernährung auf der Basis von regionalen Produkten vorteilhaft sein kann, wobei aber ihre günstigen Auswirkungen nicht generalisierbar sind, zumal der Anteil des Verkehrs in Wirklichkeit nur eher gering ist. Deutlich wichtiger sind Nachhaltigkeit und Effizienz der Produktionsmethoden, die sich in Regionen unterscheiden können. Dabei mögen bestimmte Pflanzen auch in entfernteren Regionen, z.B. aus klimatischen Gründen, effizienter und damit umweltverträglicher anbaubar sein als in naheliegenden Regionen. Der Transport kann unter diesen Umstüänden, gerade wenn er per Schiff erfolgt, der viel kleinere Faktor sein. Wir sind eine Welt. Der weltweite Austausch ist für das Überleben aller Menschen auf der Welt bedeutend. Wir sollten sicherlich keinen ausbeuterisch oder umweltzerstörend angebauten und gehandelten Reis aus Asien kaufen, sehr wohl aber fair gehandelten Bio-Reis, mit dem die Lebensbedingungen der einheimischen bevölkerung verbessert werden. Keineswegs können bio oder regional vegan ersetzen. Eine nachhaltige Ernährung muss vielmehr in aller erster Linie vegan sein und kann zusätzlich noch optimiert werden, indem auf regionale Bio-Produkte zurückgegriffen wird, wenn dies sinnvoll ist (siehe Studie zu vegan,bio und regional hier)

Schließlich liefert Sarah Wiener keine Definition, was denn nun unter anständiger Tierhaltung zu verstehen sei, geschweige denn Überprüfungskriterien, nach denen festgestellt werden könnte, ob ein Stück Fleisch nunmehr aus anständiger Haltung kommt oder nicht. Wahrscheinlich meint Sarah Wiener mit anständig „artgerecht“, was bekannterweise nur die Freiheit ist. Die Ideologie der „artgerechten Nutztierhaltung“ ist tatsächlich eine Marketing-Strategie, die das Gewissen von Verbrauchern beruhigen soll, um den Fleischkonsum zu fördern. Bekanntes Beispiel sind die angeblich „glücklichen Hühner“ aus Freilandhaltung, deren Legeleistung - und nur hiernach werden die Tiere bemessen - sich bereits nach 1,5 Jahren erschöpft, so dass die Tiere geschlachtet werden. Dabei können Hühner durchaus ein Alter von bis zu 9 Jahren erreichen. Bio-Masthähnchen erreichen gar nur das wenig stolze Alter von 70 Tagen, bevor ihrem kurzen Leben für ihr Fleisch ein Ende bereitet wird. Wir haben uns mit der Thematik "Bio-Tierhaltung" immer wieder auseinandergesetzt (siehe vorherige Artikel hier), die wesentlichen Punkte seien aber noch einmal genannt:

  • Die Nutztierhaltung beruht auf der totalen Instrumentalisierung tierischen Lebens. Das Leben der Tiere wird dem Zweck untergeordnet, dass man sie essen will.

  • Es gibt keine „artgerechte“ Schlachtung. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass auch Schlachten mit Betäubung äußerst leidbesetzt sein kann. Eine Fehlbetäubungsrate von Null ist niemals erreichbar. Wenn wir also Tiere schlachten, um sie essen, werden immer wieder einzelne Tiere bei vollem Bewusstsein und unter enormen Schmerzen aufgeschnitten und ausgenommen werden. Dies ist selbst bei umsichtigsten Vorgehen nicht in jedem Einzelfall zu vermeiden. Wenn wir Fleisch essen wollen, müssen wir dies hinnehmen. Ist dies anständig?

  • Tiere, die geschlachtet werden, müssen zuvor eingefangen, eingeladen, transportiert und ausgeladen werden. Hierauf reagieren Tiere immer mit Unsicherheit und Angst. Auch kurze Transporte sind leidvoll. Wären wir damit zufrieden, wenn wir gut leben und dann leidvoll enden würden? Würden wir im Moment des angstbesetzten und leidvollen Sterbens und noch des vorherigen Lebens freuen können?

  • Bio-Betriebe bevorzugen kleine Schlachthöfe, die näher an den Betrieben liegen, um die Transportwege zu verkürzen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Fehlbetäubungsraten umso höher sind, je weniger technisiert und maschinengesteuert ein Betrieb ist. Die Wahl ortsnaher kleinerer Schlachthöfe riskiert damit, die Fehlbetäubungsraten zu erhöhen

  • Manche propagieren das Erschießen auf der Weide als humane Lösung. Jedoch gilt, dass bei allen komplexen Handlungen der menschliche Faktor der größte Fehlerfaktor ist. Dies gilt für Flugzeugabstürze wie auch für Fehlschüsse (siehe Diskussion hier). Es wäre nicht verhinderbar, dass bei Freigabe des Tötens durch Schießen auf der Weide einzelne Tiere besonders leidvolle Fehlschüsse erleiden würden. Zudem scheint auch die mit diesem Ansatz einhergehende weitere Verbreitung von Schusswaffen wenig wünschenswert zu sein, zumal Studien zeigen (sogenannte Waffeneffekt), dass die Präsenz von Schusswaffen in Konfliktsituationen die Konfliktintensität erhöht und den Einsatz der Waffen als Risiko beinhaltet. Wir sollten Schusswaffen nicht weiter verbreiten, sondern sie weiter aus der Gesellschaft entfernen, wenn wir ein friedlicheres Zusammenleben erstreben. Die Idee, Tiere auf der Weide zu erschießen, um ihnen Leid zu ersparen, zeigt im übrigens erneut auf, dass das Transportieren und Schlachten der Tiere in der Tat leidbesetzt ist, wofür aber ein Erschießen auf der Weide letztlich keine Abhilfe schaffen kann.

  • Das Wort „artgerecht“ verdeckt den Sachverhalt, dass das Leben der Nutztiere nichts mit der Natur zu tun hat. In der Natur leben niemals tausende Hühner zusammen, egal, ob sie bio sind oder nicht. Rinder werden nicht jährlich geschwängert, um die männlichen Kälber (egal, ob sofort oder nach einigen Monaten) zu töten. Die natürliche Lebenserwartung eines Huhns beträgt nicht nur 1-2 Jahre. Tiere zeigen in der Natur eine komplexe Handlungsorganisation und regeln ihre Ernährung, ihre Bewegung, ihr Sexualverhalten und ihre Beziehungen untereinander eigenständig. Mit „artgerecht“ hat es nichts zu tun, wenn Menschen den gesamten Lebenslauf von Tieren, von der Geburt bis zur Schlachtung, diktieren.

  • Selbst wenn es so wäre, dass beispielsweise Hühner nur in Scharen von 20-30 Tieren gehalten werden würden, würde dies nichts an dem Sachverhalt der Schlachtung und dem dadurch bedingten Leid ändern. Weil die Schlachtung dann nur noch manuell erfolgen würde (wenn nicht leidvolle Transporte zu Großanlagen gewählt werden würden), würde eine besonders hohe Fehlbetäubungsrate resultieren, sofern nicht ganz auf Betäubung verzichtet werden würde. Außerdem ließe sich fast nichts mehr regeln, denn bei einer so kleinen Gruppengröße müsste nahezu jede Familie Tiere halten, was eine Kontrolle unmöglich machen würde. Grassierendes Tierleid wäre die Folge. Zudem würden die Ressourcen unseres Planeten unmittelbar erschöpft werden. Denn wenn jeder Nutztiere halten und diesen genug Bewegung gewähren wollte, gäbe es keinen Fleck auf dieser Erde mehr, den wir nicht zur Nutztierhaltung nutzen müssten. Selbst eine drastische Reduktion des Fleischkonsums würde es nicht erlauben, ohne die komplette Nutzung der gesamten irgendwie für Nutztiere nutzbaren Erdoberfläche Tiere für die Ernährung der gesamten Welt in Kleingruppen mit genug Auslauf zu halten. Wer dies jetzt schon tut, praktiziert nichts anderes als einen Luxus für Reiche.

  • Welches Leid und Elend Verbraucher unterstützen, wenn sie auf die Bio-Tierhaltung vertrauen, wird im übrigen in folgendem Video aus einem durch Bioland genutzten Schlachthof noch einmal allen Betrachtern plastisch vor Augen geführt. Genau so mag es dem Tier ergangen sein, welches wir gerade auf unserem bio-gewissenreinen Teller verzehren.

Insgesamt begnügt sich Sarah Wiener damit, „anständige Tierhaltung“ zu propagieren, ohne sich mit den damit verbundenen Details auseinanderzusetzen. Dies verdeckt, dass es eine „anständige Nutztierhaltung“, wenn das Wort ernstgenommen wird, gar nicht gibt und auc
nicht geben kann.

- Auch vegane Industrieprodukte ließen Böden erodieren, versauten das Klima und vergifteten das Wasser. Das System, in dem sie entstünden, sei ebenso grundlegend falsch wie das System der Fleischproduktion.

Die wissenschaftlichen Befunde, einschließlich der Dokumentation der FAO, zeigen unzweideutig, dass für den bei weitem überwiegenden Anteil der durch die Landwirtschaft verursachten Umweltschäden die Nutztierhaltung verantwortlich ist. Richtig ist, dass auch die pflanzenbasierte Landwirtschaft in die Natur eingreift und Umweltschäden verursacht. Die biologisch orientierte Landwirtschaft tut dies auch, aber in geringerem Maßen, während die biologisch orientierte Nutztierhaltung mindestens genauso schädlich ist wie die konventionelle Nutztierhaltung. Eine Landwirtschaft ohne Nutztierhaltung würde selbst dann, wenn ansonsten keine Änderungen erfolgten, zu einer enormen Reduktion von Umweltverschmutzung, Landzerstörung und landwirtschaftsbedingtem Treibhauseffekt führen. Sarah Wiener hat aber Recht, dass dies nicht genügt und darüber hinausgehend ein soweit als möglich globaler Wechsel zu umweltverträglichen Anbaumethoden erfolgen sollte. Solange sie Nutztierhaltung betreibt, kann die Landwirtschaft aber niemals umweltverträglich werden. Steigt sie jedoch aus der Nutztierhaltung aus, sinken die durch sie bedingten Umweltschäden dramatisch und die Aussichten wachsen, dass sich eine derartig reife Gesellschaft auch in den anderen Bereichen handlungssteuernde Gedanken um Umweltschutz und Nachhaltigkeit machen wird.

- Die Nahrungsmittelindustrie seziere unser Essen wie Frankenstein seine Leichen. Und dann baue sie es wieder zusammen und serviere es als sterilisierte Kunstprodukte, angereichert mit Aromastoffen, Geschmacksstoffen, Farbstoffen und Emulgatoren – um am Ende ein bestimmtes Bissgefühl und den gewünschten Look zu schaffen. Als Beispiel dafür müsse man gar nicht so extreme Auswüchse heranziehen wie tierfreie Shrimps oder milchfreien Käse. Es fange schon bei einer schlichten Sojamilch an. Kochen und drücken Sie Sojabohnen einmal aus – die Brühe sei kaum trinkbar, die wolle sich niemand in seine Latte Macchiato kippen. Die Sojamilch, die heute in jedem Supermarkt stehe, sei ein hochverarbeitetes Industrie-Produkt – und in etwa so künstlich wie eine Cola.

Hier ergreifen von Sarah Wiener Vorstellungen Besitz, die Sachlichkeit und Realitätsbezuges hinter sich lassen. Sojamilch besteht aus gekochten Sojabohnen und Wasser, typischerweise ist auch noch etwas Salz dabei und manchmal sind Süßungsmittel, wie Agavendicksaft, enthalten. Aus ernährungswissenschaftlicher Sichtweise wird der Konsum von Sojamilch und anderen Sojaprodukte explizit empfohlen, unzählige Studien belegen gesundheitliche Vorteile.

Was ein uraltes Naturprodukt, wie die Sojamilch, mit einem komplett künstlichen Getränk, wie der Cola, zu tun haben soll, erklärt Sarah Wiener nicht. Die Nähe zwischen Sojamilch und Cola ist rein rhetorisch, mit der Wirklichkeit hat sie nichts zu tun. Klar herauszustellen ist ebenfalls, dass der menschliche Sojabohnenkonsum eben nicht zum Abholzen von Regenwäldern, Monokulturen oder Gentechnik führt. Das Problem ist umgekehrt, dass viel zu wenig Sojaprodukte und viel zu viel Tierprodukte gegessen werden. Nicht einmal 2% des weltweit angebauten Soja wird direkt durch Menschen verzehrt. Für den menschlichen Verzehr werden daher weder Rodungen noch Monokulturen benötigt, sondern diese sind ausnahmslos Folge von Nutztierhaltung und Fleischkonsum. Äßen Menschen mehr Soja und verzichteten auf Tierprodukte, könnten die Sojaanbaufelder weltweit drastisch reduziert und umweltverträglich gestaltet werden. Gleichzeitig könnten so Sojaprodukte einen wertvollen Beitrag gegen Hunger und Unterernährung leisten.

Aber auch das generalisierte Entsetzen von Sarah Wiener gegenüber veganen Produkten, wie veganem Käse, ist unbegründet. Schauen wir uns die Zutatenliste des bekannten No Muh Käse an, finden wir dort ausschließlich natürliche Zutaten und nichts von dem, was Sarah Wiener befürchtet. Zudem sind echte Shrimps, für die Tiere sterben müssen,bei weitem extremer als ein Produkt auf rein pflanzlicher Basis. Sicherlich gibt es auch zahlreiche ungesunde vegane Produkte und manche, wenn auch eher wenige, mögen sogar voll von Chemie sein. Es ist richtig, hierauf hinzuweisen, aber die Ausführungen von Sarah Wiener entsprechen einer rational unbegründeten Komplettdiskreditierung der veganen Produktsparte. Selbst die schlechtesten veganen Produkte sind jedoch jedem Tierprodukt überlegen, weil sie nicht auf Tierqual beruhen und weniger stark die Ressourcen unseres Planeten vergeuden.

- Vegane Ersatzprodukte seien ein ein Tor für die Nahrungsmittelindustrie, um noch mehr künstliche, stark verarbeitete Lebensmittel minderer Qualität auf den Markt zu werfen.

Vegane Produkte sind weder besonders künstlich, noch besonders hoch verarbeitet und sicherlich nicht minderer Qualität. Sarah Wiener baut hier ein Fantasiebild auf, für dessen Bestehen sie keinerlei Belege liefert. Die Nahrungsmittelindustrie, wie andere Industriebereiche und Konzerne auch, handeln gewinnorientiert und oftmals skrupellos. Wer dies überwinden will, braucht eine andere Gesellchaftsform als die gegenwärtige. Sarah Wiener missversteht aber die Situation, wenn sie glaubt, dass die Nahrungsmittelindustrie hinter dem veganen Trend steht. Die Nahrungsmittelindustrie steht vorallem hinter der Nutztierhaltung, mit deren Produkten sie den allergrößten Teil ihres Sortimentes entwickelt hat und mit der sie Milliardengewinne macht. Zusätzlich möchte sie noch mit veganen Produkten verdienen, ohne aber auf ihre Tierprodukte verzichten und ohne entsprechend den Wechsel zu einer veganen Lebensweise fördern zu wollen. Die Nahrungsmittelindustrie und Sarah Wiener teilen insofern durchaus ihre wechselseitige Ablehnung der veganen Ernährung und Lebensweise. Im Kleinen gehört übrigens Sarah Wiener ebenfalls zu dieser Nahrungsmittelindustrie, da sie eine Produktreihe von Lebensmitteln verkauft, zu denen Tierprodukte gehören. Diese erzeugen Tierleid und tragen zur Ressourcenverschwendung bei, die notwendigerweise mit jeder Nutztierhaltung verbunden ist.

- Es stelle sich die Frage, ob es nicht unser Schicksal sei, auch Tiere zu essen – weil wir Allesfresser seien, weil wir bestimmte tierische Enzyme bräuchten, um gesund zu bleiben und weil der Tierdung unsere Felder dünge. Doch eines müsse klar sein: Unsere Bestimmung sei sicher nicht, Tiere wesensfremd zu halten und zu füttern – und ihnen keinen würdevollen Platz als Mitgeschöpfen einzuräumen.

Kein Ernährungsmediziner und kein Ernährungswissenschaftler behauptet, dass wir in unserer Nahrung tierische Enzyme bräuchten. Selbst in den kritischsten Stimmen zur veganen Ernährung, von denen wir alle lesen, die wir auffinden, haben wir so eine Behauptung noch nie gelesen! Sarah Wiener sollte angeben, auf der Basis welcher Beweislage wir angeblich welche tierischen Enzyme benötigen. Stattdessen belässt sie es bei einer reinen Behauptung, der nach allen uns vorliegenden Informationen jeder Realitätscharakter fehlt.

Veganer sind im Durchschnitt wesentlich gesünder als Fleischesser. Keine einzige Studie zeigt, dass Fleischesser im Durchschnitt gesünder wären als Veganer. Dass wir für unsere Gesundheit Tierprodukte benötigten, ist ein Mythos.Der Glaube Sarah Wieners, dass wir für unsere Gesundheit Fleisch bräuchten, ist nicht mehr als ein persönlicher Glaube, dem aber – wie es so oft bei Glaubenssätzen der Fall ist – der Bezug zur Wirklichkeit fehlt.

Ebenso wenig ist es korrekt, dass unsere Felder tierischen Dung benötigten. Im Gegenteil, werden unsere Felder durch Gülle zerstört. Es gibt genug Düngemittel auf pflanzlicher Basis und umweltverträglich bebaute Böden regenerieren sich selbst. Die bio-vegane Landwirtschaft erbringt gute Erträge bei Verzicht auf jede Düngung aus tierischen Quellen. Aber selbst wenn unsere Felder Dung benötigen sollten, bräuchten wir dazu keine Tiere töten, sondern könnten zwanglos die menschlichen Fäkalien für diesen Zweck verwenden. Für die Ernährung von sieben Milliarden Menschen wären ihre Fäkalien, wenn sie komplett verwendet werden würden, sogar bereits Dung zu viel.

Sarah Wiener plädiert dafür, Tiere nicht wesensfremd zu halten und ihnen einen würdevollen Platz als Mitgeschöpfe zuzuweisen. Würden wir aber auch von einer nicht wesensfremden Haltung und einem würdevollen Platz des Menschen sprechen, wenn wir Menschen wie Bio-Nutztiere hielten, sie unter kompletter Fremdkontrolle leben ließen, sie schwängerten und ihnen - früher oder später – die Kinder wegnähmen, ihre Milch abpumpten, sie transportierten und dann mit der Inkaufnahme von unvermeidbaren Fehlbetäubungsraten sie schlachteten und ausnähmen, nur um sie zu essen?

Anders als alle anderen Tiere kann der Mensch entscheiden, ob er andere Tiere töten möchte, um sie zu essen. Er kann sich mit einem Raubtier identifizieren, er kann sich aber ebenfalls gegen alle Gewalt gegen seine tierischen Mitlebewesen entscheiden. Der Mensch kann Schlachthäuser betreiben, er kann sich aber ebenfalls ausschließlich von Pflanzen ernähren. Diesen grundlegenden Unterschied des Menschen zu anderen Tieren hat Sarah Wiener bisher nicht ausreichend rezipiert.

- Wir hätten alle schon genug Stress zu Hause und im Job. Wir könnten nicht alle zu Ernährungsexperten werden. Die Lösung aber sei ganz einfach. Denn die simpelsten Wahrheiten seien immer noch die besten: „Kochen Sie selber und mit natürlichen Zutaten. Kaufen Sie saisonal und regional. Und essen Sie nur ab und zu ein Stückchen Fleisch – aus artgerechter Tierhaltung!“

Wir müssen keine Ernährungsexperten sein, aber wir alle brauchen ein gewisses Ernährungswissen, um uns gesund zu ernähren. Der Bereich der Ernährung betrifft uns alle, wie könnten wir ihn aus unserem Wissenserwerb ausblenden? In ihrem Artikel zeigt Sarah Wiener, dass auch ihr Wissenserwerb Nachholbedarf hat. Denn das Stückchen Fleisch aus „artgerechter Tierhaltung“ ist in Wirklichkeit immer und ausnahmslos - es sei denn, wir äßen Aas – ein Qualprodukt, welches durch einen brutalen Tötungsakt einem leidensfähigen Wesen, welches leben wollte, entrissen wurde. Es ist gleichzeitig eine Ressourcenvergeudung und ein Hohn auf den Umweltschutz, weil jedes Stück Fleisch mehr Energie und Ressourcen zu seiner Bereitstellung benötigt als ein rein pflanzliches Gericht, völlig egal, ob das Tier, welches wir töteten, bio oder konventionell gehalten wurde. Darüber hinaus ist dies Stück Fleisch komplett unnötig, da wir es zu unserer Ernährung nicht brauchen, weil wir zwanglos und gesund auf der Basis rein pflanzlicher Kosten leben können. Wir können damit aufhören, anderen Tieren Leid zuzufügen, unsere eigene Umwelt zu zerstören und die Ernährungssicherheit in der Welt durch den Fleischkonsum zu gefährden. Die einfachen Wahrheiten der Sarah Wiener sind keine Wahrheiten, sondern Irrtümer, die Fleischkonsum legitimieren, anstatt das Übel bei seiner Wurzel anzupacken und für den ebenso notwendigen wie machbaren Ausstieg aus der Nutztierhaltung einzutreten.

Resümee

Wenn Sarah Wiener einen wirksamen Beitrag für den Tier- und Umweltschutz, für die menschliche Gesundheit und gegen den Hunger leisten möchte, sollte sie mit ihren Möglichkeiten gesunde vegane Gerichte präsentieren, anstatt das Märchen der Möglichkeit einer „artgerechten“ und umweltverträglichen Nutztierhaltung zu verbreiten und gleichzeitig die vegane Lebensweise, die praktizierter Tier- und Umweltschutz ist, zu diskreditieren. Es ist zu hoffen, dass sie ihre Irrtümer erkennen und diesen Weg noch beschreiten wird.

Verfasser: Guido F. Gebauer

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