Ex-Veggies: Konservative fallen öfter zum Fleisch zurück

Ex-Veggies: Konservative fallen öfter zum Fleisch zurück

Warum fangen manche vegetarisch oder vegan lebenden Menschen an, wieder Fleisch zu essen? Gibt es Zusammenhänge zu Politik und Moral? Eine im Fachjournal Appetite veröffentlichte Studie hat sich dieser Fragestellung zugewandt. Untersucht wurden 1102 Ex-Vegetarier und Ex-Veganern sowie 211 gegenwärtige Veganer und Vegetarier. Diese wurden rekrutiert aus einer repräsentativen Erhebung mit über 11000 Personen. Erfragt wurde außerdem der selbst eingeschätzte Konservatismus sowie die Motivation für die vegane Lebensweise, wobei zwischen ethischen Gründen (Tierrechte, Beseitigung des Welthungers, Beendigung der Umweltzerstörung), persönlichen Gründen (Gesundheit, Geschmack, Ekel gegen Fleisch) und sozialen Einflüssen (Freunde, Bekannte, Familie) unterschieden wurde. Zusätzlich wurden zahlreiche weitere Kontrollvariablen, wie Alter, Geschlecht und Bildungsstand erhoben.

Das Ergebnis zeigt, dass eine Beendigung der vegetarischen oder veganen Lebensweise umso häufiger vorkam, desto stärker sich die Befragten als konservativ einstuften. Weitere statistische Analysen zeigten, dass Konservative deshalb häufiger zum Fleisch zurück kamen, weil sie ihre vegane / vegetarische Lebensweise weniger stark ethisch motiviert war (Tierrechte, Umweltschutz, Welthunger). Außerdem hatten sie in ihrem sozialen Umfeld für ihre vegetarische / vegane Lebensweise weniger Unterstützung.

In diesem Artikel gehe ich auf die Untersuchungsbefunde ein und diskutierte danach, was nach meiner Einschätung hieraus für die politisch-gesellschaftliche Ausrichtung des Veganismus und Strategien für seine Verbreitung folgt.

 

Hintergründe

Die vegane Lebensweise hat in den letzten Jahren in den Industriestaaten einen Aufstieg erlebt, auch wenn die Anzahl der vegan lebenden Menschen nach wie vor klein ist. So leben in Deutschland vermutlich maximal 1 % Veganer und Veganerinnen, wobei dieser Anteil aber 2008 nach den Befunden der repräsentativen Nationalen Verzehrstudie  nur bei 0,1 % gelegen hat. Neben der Zunahme der veganen Lebensweise gibt es ebenfalls Menschen, die eine einmal begonnen vegane Lebensweise wieder aufgeben. Zur Häufigkeit und zu den Gründen hierfür liegen aber bisher keine wirklich belastbaren wissenschaftlichen Daten vor. Die aktuelle Studie weist aber auf einen alarmierend großen Anteil an Personen hin, die eine bereits begonnene vegetarische oder vegane Lebensweise wieder aufgeben, wobei die Studie keine Differenzierung zwischen vegan und vegetarisch zulässt.

Mittlerweile liegt eine substantielle Forschungsliteratur vor, die konsistent aufzeigt, dass Menschen, die sich als Konservative verstehen oder in Fragebögen stärker rechtsgerichtete politische Inhalte bejahen, häufiger Fleisch essen und auch häufiger andere mit Tierausbeutung einhergehende Praktiken unterstützen. In dem aktuellen Artikel in Appetite werden acht Forschungsstudien zu dieser Thematik mit übereinstimmenden Befunden benannt. Bei vegan.eu haben wir bereits einige dieser Studien besprochen (hier, hier). Außerdem haben eigene Umfragen gezeigt, dass eine große Mehrheit der Befragten Veganer und Veganerinnen emanzipatorische Positionen vertritt, wie die volle Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Queersexuellen und Intersexuellen (LSBTQI) und Heterosexuellen, den Schutz von Flüchtlingen, die Beendigung der Umweltzerstörung oder die Überwindung von sozialer Ungleichheit. Eine aktuelle Wahlumfrage von vegan.eu gelangt zu dem Ergebnis, dass konservative Parteien (CDU/CSU), neoliberale Parteien (FDP), sowie rechtsradikale Parteien (AfD) bei Veganern keine Chancen haben. Kein Zufall dürfte es ebenfalls sein, dass der rechtspopulistische US-Präsident Trump einen konzertierten Angriff auf Tierrechte begonnen hat.

 

Wie viele Menschen geben eine vegetarische oder vegane Lebensweise wieder auf? Wieso tun sie das?

Aus der Studie lassen sich hierzu folgende Antworten ableiten:

  • Die Anzahl der Personen, die eine vegane oder vegetarische Lebensweise wieder aufgeben ist alarmierend hoch. In dieser repräsentativen Gesamtstichprobe wurden 1102 Ex-Veggies, aber nur 211 aktuelle vegan oder vegetarisch lebende Personen gefunden!
  • Je stärker Menschen sich als konservativ sehen, desto häufiger essen sie später wieder Fleisch
  • Je weniger stark Menschen aus ethischen Gründen vegan / vegetarisch leben, desto häufiger geben sie die vegane / vegetarische Lebensweise wieder auf
  • Je weniger Menschen Unterstützung für ihre vegane / vegetarische Lebensweise in ihrem sozialen Umfeld finden, desto häufiger fallen sie in Fleischkonsum zurück
  • Konservative halten deshalb eine vegane /vegetarische Ernährung seltener aufrecht, weil ihre Motivation für diese Lebensweise weniger ethisch fundiert ist und sie in ihrem Umfeld weniger Unterstützung für Fleischverzicht erhalten

 

Was sind die Handlungsimplikationen?

Was können wir hieraus lernen, um den Veganismus möglichst effektiv zu verbreiten und die offenbar enorm häufigen Rückfälle in Fleischkonsum zu verhindern? Welche Rolle sollte der Rekurs auf moralische, eng in politische Themen eingebettete Konzepte bei der Verbreitung der veganen Lebensweise spielen? Welche Zielgruppen sollten angesprochen werden, um eine effektive Ausbreitung des Veganismus zu erreichen?

Nach meiner Einschätzung lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen:

  • Nur Menschen zu veranlassen, neu mit der veganen Lebensweise zu beginnen, ist nicht ausreichend. Wenn die überwältigende Mehrheit den Wechsel zu einer veganen oder vegetarischen Lebensweise wieder aufgibt, ist es essentiell, dass hier stärkere Präventionsarbeit geleistet wird.
  • Die Verbreitung des Veganismus bedarf einer klaren Fokussierung auf die moralischen Aspekte Tierleid / Tiertötung, soziale Gerechtigkeit (Welthunger) und Umweltschutz. Denn um so stärker Menschen aus vertieften moralischen Gründen sich für die vegane Lebensweise entscheiden, desto eher werden sie auch dauerhaft vegan bleiben.
  • Argumente, wie Gesundheit, Fitness, Geschmack und Figur, sollten lediglich sekundär und unterstützend vorgebracht werden, um Ängste vor der Umstellung auf vegan zu reduzieren und zusätzliche positive Anreize zu geben. Wenn gesundheitliche und verwandte Argumentationen demgegenüber in den Vordergrund gestellt werden, steigt das Risiko an, dass Menschen nur kurzfristig für die vegane Lebensweise gewonnen werden und sich damit entsprechende Bemühungen letztlich pulverisieren. Tatsächlich mögen Ex-Veggies der Ausbreitung der veganen Lebensweise sogar mehr Schaden zufügen als nutzen.
  • Bisher wird die vegane Lebensweise nur von einem erschütternd geringen Anteil der Gesamtbevölkerung praktiziert. Die Mittel für die Verbreitung des Veganismus sollten sich auf das Erreichen der Zielgruppe politisch links-emanzipatorisch denkender und engagierte Menschen fokussieren, die für die moralisch-empathisch getragene Argumentation für den Veganismus sensitiv sind. Eine andere Fokussierung entspräche einer Verschwendung der begrenzten Mittel für eine Zielgruppe, die ohnehin schwerer erreichbar ist und den Veganismus zudem wieder schneller aufgibt.

Es gibt drei weitere Argumente für eine fokussierte Gewinnung von Menschen mit links-emanzipatorischen Einstellungen für die vegane Lebensweise:

  • Ansätze, die für sich beanspruchen, den links-rechts-Gegensatz überwinden zu wollen, schrecken einen erheblichen Anteil links-emanzipatorisch denkender Menschen ab, da sie als Leugnung sozial-gesellschaftlicher Ungerechtigkeit verstanden werden. Damit würden aber ausgerechnet diejenigen abgeschreckt, die für den Veganismus besonders gut erreichbar sind und auch eher bei ihm bleiben. Der (scheinbare) Gewinn auf der Rechten, geht also mit einem sehr viel substantielleren Verlust auf der Linken einher.
  • Wenn die Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit für den Veganismus sich beispielsweise auch an Menschen mit rechten politischen Einstellungen wendet, erhöht sich zudem das Risiko, dass der Veganismus (durch deren Auftreten und Äußerungen, auch in den sozialen Netzwerken) mit menschenverachtenden Konzepten in Verbindung gebracht und dadurch diskreditiert wird. Dadurch würden wiederum Menschen vom Veganismus abgeschreckt, weil sie ihn als menschenverachtend wahrnehmen.
  • Der Veganismus stellt inhaltlich einen radikalen Denkansatz und eine radikale Praxis dar, die einen grundlegenden Ausstieg aus einer Ausbeutungs- und Unterdrückungsstruktur markiert, die in allen Gesellschaften und Kulturen verankert ist und diese tiefgreifend durchdringt. Es gibt weltweit keine vegane Gesellschaft (außerhalb von gesellschaftlichen Subgruppen) und entgegen mancher Utopie hat der Verfasser auch noch keine Belege dafür gesehen, dass es sie in der Vergangenheit tatsächlich gegeben hätte. Es gibt daher keine Möglichkeit, für den Veganismus im Sinne eines konservativen Rückbezugs zu plädieren. Es gibt keine vegane gesellschaftliche Tradition, die erhalten werden oder zu der zurückgekehrt werden könnte. Es geht im Gegenteil um die Überwindung der allgegenwärtigen Tradition der Tiernutzung. Die mit dem Veganismus einhergehenden radikalen Veränderungen sind entsprechend mit allem, was in den Sozialwissenschaften und in der Politik als Konservatismus bekannt ist, nicht vereinbar. Es ist deshalb durchaus kein Zufall, dass CDU/CSU und die rechtsradikale AfD beispielsweise für die Unterstützung des Schweinefleischkonsums werben und darauf Wert legen, dass in allen Kantinen Schweinefleisch serviert und dies auch Kindern nahegebracht wird. Vielmehr ergeben sich diese Forderungen folgerichtig aus dem konservativ-reaktionären Weltbild dieser Parteien, welches mit der veganen Sichtweise nicht vereinbar ist.

 

Sollen nicht alle erreicht werden?

Selbstverständlich ist es aus veganer Sichtweise das Ziel, in der Zukunft alle zu erreichen und eine vegane Gesellschaft zu etablieren, in der die Ausbeutung von Menschen und Tieren überwunden ist. Allerdings wäre es ein Irrtum, hieraus zu folgern, dass der Veganismus entsprechend auch bei Rechten verbreitet werden sollte. Es muss vielmehr darum gehen, solchen Personen dabei zu verhelfen, ihr rechtes Gedankengut aufzugeben.

Umgekehrt sollten Personen, die sich vegan ernähren und gleichzeitig rechte Ideologien (z. B. Fremdenfeindlichkeit, Plädoyer für Abschottung etc.) vertreten, dabei unterstützt werden, den Grundwiderspruch zu erkennen und zu korrigieren. Denn die vegane Sache erstrebt die Abschaffung von menschengemachtem Leid und ist damit notwendigerweise in ihrer Ausrichtung international und alle Grenzen überwindend.

Rechte sollen insofern also tatsächlich erreicht werden, jedoch nicht durch Anpassung oder Indifferenz des Veganismus an ihre menschenverachtende Ideologie, sondern durch Aufklärung zur Überwindung ihrer rechten Ideologie und aller Unterdrückungsstrukturen.

 

Was ist mit den links-gerichteten Fleischessern?

Links gerichtete Menschen essen seltener Fleisch und sind häufiger vegan als rechts gerichtete Menschen. Aber ebenso wahr ist es, dass auch die große Mehrheit derjenigen, die sich als politisch links stehend definiert, weiterhin Fleisch isst und dadurch teilnimmt an der Tierausbeutung (und der mit ihr zusammenhängenden Menschenausbeutung sowie der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen unseres Panetens).

Personen, die sich mit links-emanzipatorischem Gedankengut und Praktiken identifizieren, aber weiterhin Fleisch essen, ist daher aus veganer Sichtweise zu verdeutlichen, dass sie sich im Gegensatz zu ihren eigenen moralischen und politischen Grundeinstellungen befinden und diesen Widerspruch durch den Wechsel zur veganen Lebensweise überwinden können. Gelingt dieser Überzeugungsprozess bestehen gute Aussichten, dass solche Personen auch dauerhaft der veganen Sache verbunden bleiben und sich für die weitere Ausbreitung des Veganismus einsetzen werden.

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